Herzstück der Digitalen Baustelle ist die rund sechs Meter hohe „3D-Druckeinheit“, mit dem großformatige, individualisierte, CO2-arme Bauteile additiv hergestellt werden sollen.Tjark Spille/Institut für Tragwerksentwurf
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TU Braunschweig forscht an der Digitalen Baustelle 

Die Bauwirtschaft steht vor der Herausforderung, den steigenden Baubedarf künftig mit weniger Ressourcen und weniger Emissionen zu decken. Vor diesem Hintergrund forscht die Technische Universität Braunschweig im Projekt „Die Digitale Baustelle – Bauindustrie 4.0 als Schlüssel für eine digitale und nachhaltige Bauwirtschaft“ an digitalen Fertigungstechnologien sowie deren Auswirkungen auf Planungs- und Produktionsprozesse unter realen Baustellenbedingungen und liefert so Impulse für die Baupraxis.

 An der Beethovenstraße am Campus Ost der TU Braunschweig entsteht derzeit eine Forschungsinfrastruktur aus verschiedenen digital gesteuerten Großgeräten: robotische Einheiten, mobile Roboter, eine automatisierte Betonmischanlage, Objekttracking und immersive Systeme – unter anderem eine LED-Wand mit Virtual Reality-Technologie. Ebenso eine rund sechs Meter hohe „3D-Druckeinheit“, mit der großformatige, individualisierte, ressourcen- und CO2-effiziente Bauteile additiv hergestellt werden sollen.

Die Vereinigung von Ökonomie, Ökologie und sozialen Aspekten

In einer zu der Anlage veröffentlichten Mitteilung erklärt Professor Patrick Schwerdtner vom Institut für Bauwirtschaft und Baubetrieb (IBB), einem buildingSMART Deutschland-Mitglied, dass additive Fertigungstechnologien und insbesondere der 3D-Betondruck Schlüsseltechnologien für den Wandel der Bauwirtschaft seien, mit ihnen würden sich Ökonomie, Ökologie und soziale Aspekte der Bauproduktionvereinen lassen. So falle zum einen durch den Verzicht auf die Schalung ein kostenintensiver Arbeitsgang weg, zum anderen ermögliche der additive Fertigungsprozess die Einsparung von Material, da der Beton nur dort aufgetragen werde, wo er konstruktiv benötigt werde. Da die Bauteile automatisiert und nicht mehr handwerklich unter teilweise schwierigen örtlichen Randbedingungen und bei problematischen Witterungsverhältnissen hergestellt würden, werde außerdem die Arbeitssicherheit verbessert.

Auch der Sonderforschungsbereich TRR 277, „Additve Manufacturing in Construction“ (AMC), in dem die TU Braunschweig gemeinsam mit der TU München an additiven Fertigungstechnologien forscht, ist in der neuen Anlage aktiv. Erprobt werden die Ergebnisse des AMC im 1:1-Bauwerksmaßstab und unter Realbedingungen– auch unter dem Aspekt, unterschiedliche digitale Technologien vor Ort zusammenführen und im Sinne der Industrie 4.0 miteinander zu vernetzen. Schließlich soll es möglich werden, durchgehend datenbasiert auf der Baustelle zu arbeiten – von der Planung über die Herstellung bis zur Montage. Das Ziel: eine digitale Prozesskette zur Erhöhung des Automatisierungsgrads und zu ressourceneffizienterem Arbeiten. Zusätzlich würden durch den datenbasierten Informationsaustausch Fehler in der Kommunikation vermieden, heißt es.

Unterschiedliche digitale Technologien werden vor Ort zusammenführt und im Sinne der Industrie 4.0 vernetzt.

Unterschiedliche digitale Technologien werden vor Ort zusammenführt und im Sinne der Industrie 4.0 vernetzt.

Bildcredit: Harald Kloft/TU Braunschweig

Das dreidimensionale BIM-Modell ist die Basis

Schnittstelle für alle am Produktionsprozess Beteiligten ist das „Digital Engineering Center“. Dort sollen sämtliche Informationen der „Digitalen Baustelle“ gebündelt werden – gespeichert und verwaltet in einem dreidimensionalen „BIM-Modell“ (auch für „konventionelle“ Bauprozesse abseits der additiven Fertigung). Die BIM-Methodik wollen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auch als visuelles Kollaborationstool nutzen, um die dreidimensionalen Darstellungen unter anderem mit Terminplänen zu koppeln, um die Abläufe im zeitlichen Raffer anzuschauen, Daten zu sammeln und zu analysieren. Außerdem soll diese Schaltzentrale als Virtual Reality Labor fungieren, in dem zum Beispiel digitale Bauteile in den realen Raum projiziert werden können.

Auch die digital gesteuerte Betonmischanlage für den 3D-Druck (Mobile Digital Concrete Plant) verbindet Vorgänge, die bislang in der Regel separat laufen, in einem digital durchgängigen Prozess. So können Materialherstellung durch Mischen der Ausgangsstoffe, Förderung des Betons durch Pumpen sowie die Bestimmung der Eigenschaften des Frischbetons und die Fließfähigkeit kontrolliert gesteuert werden, damit die gedruckte Geometrie der Struktur und der Verbund der einzelnen Lagen gewährleistet wird.

Die Verknüpfung von Grundlagenforschung mit anwendungsnaher Forschung

Für die begleitende und abschließende Qualitätssicherung wollen die Forschenden vom Institut für Geodäsie und Photogrammetrie (IGP) unter anderem automatische 3D-Vermessungssensorik und -methodik einsetzen. Damit können sie unter anderem die Ist- und Soll-Geometrie überprüfen sowie Schäden entdecken. Für Aufnahmen des gesamten Bauwerks zum Abgleich mit den Planungsdaten ist auch der Einsatz von speziellen Trackingsystemen vorgesehen. Parallel wollen die Forschenden außerdem die Witterungsbedingungen nebst Wind messen und somit die Auswirkungen der realen Baustellenbedingungen untersuchen.

Patrick Schwerdtner sagt: „Auf der ‚Digitalen Baustelle‘ verknüpfen wir Grundlagenforschung und anwendungsnahe Forschung miteinander. Die Planungsbüros und Bauunternehmen sollen frühzeitig Kenntnis erlangen von möglichen Zukunftstechnologien und diese Überlegungen auch in ihre Unternehmensstrategie integrieren, da der Transformationsprozess eine gewisse Zeit in Anspruch nimmt.“ Die regionale und überregionale Wirtschaft ist damit eingeladen, sich an der Digitalen Baustelle zu beteiligen.