Digitales AufmaßArchitekturbüro steffen wurster, Bolanden
 | Planen, Bauen, Software

Von der Punktwolke zum digitalen Gebäudemodell

Wie lassen sich große Punktwolken verarbeiten? Eine Praxisbeispiel in sieben Schritten.

Tim Westphal

Die Hochrheinbrücke verbindet heute problemlos den deutschen und den Schweizer Teil der Stadt Laufenburg. Das war jedoch nicht immer so: 2004, als die Brücke geplant und gebaut wurde, unterlief dem planenden Ingenieurbüro auf der deutschen Seite ein kostspieliger Fauxpas.

Fataler Planungsfehler

In Deutschland und in der Schweiz wird die Höhe über Meeresspiegel – für jedes Bauprojekt wesentlich – unterschiedlich berechnet: Die Deutschen orientierten sich in Richtung Norden und an der Nordsee, die Schweizer nach Süden und am Mittelmeer.

Die sich hieraus ergebenen Meerespiegel-Niveaus bedeuten einen Unterschied von 27 cm. Das war zwar allen bekannt und wurde bei der Berechnung im Ingenieurbüro durchaus berücksichtigt – jedoch mit Vorzeichenfehler.

Der fatale Höhenversatz der resultierenden 27+27 = 54 cm (!) verursachte große Bauchschmerzen in ganz Laufenburg und weit über die Stadtgrenzen hinaus. Das deutsche Ingenieurbüro war glücklicherweise gut versichert.

Solche Beispiele, von denen sich mit etwas Recherche in der Fachliteratur oder im Internet schnell Weitere finden lassen, machen deutlich: Jeder Mensch ist fehlbar – auch Ingenieure und Architekten. Umso wichtiger ist es, dass sie alle heute zur Verfügung stehenden digitalen wie analogen Werkzeuge und Hilfsmittel sinnvoll nutzen, um solche groben Schnitzer wie in Laufenburg zu vermeiden.

Gebäudebestand erfordert exaktes Bestandsaufmaß

Ohne jeden Zweifel: Moderne Planungs-Tools sind heute in der Lage, die verschiedenen Fachplanungen von TGA oder Statik mit der Architekturplanung des entwerfenden Büros abzugleichen und auf Basis vielfältiger Parameter kritische Fehlerpunkte ausfindig zu machen. Das spart Zeit und unnötige Kosten für die baubegleitende Planung – und erleichtert damit genauso die Prüfung von Planungen, die auf verschiedenen Meeresspiegelhöhen oder anderen international variierenden Parametern beruhen.

Wie verhält es sich jedoch, wenn die Basis der Bestand ist? Wie lassen sich exakte Dimensionen, Maße, Höhen, konstruktive oder statische Abhängigkeiten von der Umgebungsbebauung oder der Topographie rund um das Bauwerk ermitteln?

Ein detailliertes Aufmaß des Bestands ist hier die einzige Möglichkeit, um alle relevanten und vorhandenen Rauminformationen zu bündeln und anschließend in Bestandsplänen auszugeben. Das geschieht bekanntlich nur noch selten analog. Vermessungsbüros nutzen seit vielen Jahren digitale Vermessungsgeräte sowie Laserscanner, die mit nur geringen Abweichungen von wenigen Millimetern arbeiten. Digitale, laserbasierte Aufmaße sind heute Stand der Technik. Kleinaufmaße werden dennoch per Handaufmaß realisiert, wenngleich oft unterstützt von einem Laser mit Abstandsmessung, Bandmaß und digitaler Schlauchwaage – die aber nie die Präzision eines punktwolkenbasierten Laserscans erreichen.

Lange war das qualifizierte Aufmaß die alleinige Domäne spezialisierter Ingenieure in den Vermessungsbüros. Das ändert sich jedoch seit ein paar Jahren. Denn Laserscanner sind erschwinglich geworden. Je nach Ausstattung und Hersteller sind ab 16.000 Euro Geräte erhältlich, die bereits mit Profiqualität aufwarten. Bei diesem Preis ist ein Scanner noch immer kein Mitnahmeartikel wie aus dem Elektrofachmarkt – aber für Büros, die sich ständig im Sanierungsbereich bewegen und im Bestand planen, wird dessen Anschaffung unter Umständen wirtschaftlich.

Zum Gerät hinzu kommt eine spezielle Software, die die Aufmaßdaten, die Punktwolken, referenziert und für die anschließende Übergabe ins BIM-Planungsprogramm vorbereitet. Diese Software kann aber angemietet werden und belastet das eigene Budget nur für das jeweilige Projekt und über einen überschaubaren Zeitraum. Darüber hinaus lassen sich bei verschiedenen Dienstleistern in der ganzen Bundesrepublik Laserscanner tageweise mieten, was die Kosten ebenfalls überschaubar hält.

Laserscanner: Welche Systeme gibt es? Und besser mieten statt kaufen?

Alexander Maier, Inhaber des Architekturbüros zeit + raum aus Mainz, ist einer der Dienstleister, die Laserscanner vermieten und verkaufen. Für ihn ist vor allem die Vermietung digitaler Scan-Systeme zu einem weiteren Standbein im eigenen Büro geworden. Er unterscheidet die verschiedenen Systeme und Aufgabenbereiche dabei grundsätzlich:

„Wir arbeiten durchweg mit Punktwolken-Laserscansystemen. Hier unterscheiden wir zwischen Kleingeräten, mit denen man schnell einen Raum durchläuft und aufmisst, z. B. mit dem Leica BLK Go. Außerdem bieten wir Laser-Scanner auf dem Stativ an. Ein gutes Einstiegsmodell ist hier zum Beispiel der Leica BLK 360; hinzu kommen Geräte von Hersteller Faro. Beim Leica BLK 360 liegt man aktuell bei ca. 16.000 Euro in der Anschaffung, bei Geräten von Faro bei ungefähr 35.000 Euro.“

Neben den mobilen oder stationären Laserscan-Systemen gibt es Flugdrohnen mit integriertem LiDAR-Scanner. Bei ihnen wird aus der Drohne heraus vom überflogenen Gelände eine Punktwolke erstellt, die vor allem für das Außenaufmaß eines Gebäudes, die Gebäudehülle oder einen Scan der Umgebungsbebauung sinnvoll ist. Damit lässt sich im Nachgang beispielsweise überprüfen, wie gut ein Gebäudeentwurf in die Bestandsbebauung integriert ist oder sich im Gelände einfügt. Je nach Modell erzeugen die Laser-Scanner über die Punktwolke hinaus ergänzende 360°-Fotos, die sich für die umfangreiche Dokumentation eines Projekts nutzen lassen.

Vom Gebäudeaufmaß zum Bestandsmodell in sieben Schritten

Soweit die Theorie. Doch wie sieht die konkrete Umsetzung aus, wenn von einem Bestandsgebäude ein detailliertes 3D-Bestandsmodell entstehen soll? Im Wesentlichen sind es sieben Schritte, die hier zu durchlaufen sind, erklärt Architekt und Vermessungsexperte Alexander Maier.

1.
Der Laserscan mit 360 Grad Fotos vor Ort am Projekt. Ein Scan dauert dabei pro Laser-Standort drei bis vier Minuten. Beim Aufmaß sind stets verschiedene Standorte im und am Gebäude zu wählen. Die hierbei entstehenden Punktwolken werden in einem späteren Schritt (siehe 3.) referenziert und einander zugeordnet.

2.
Die Übertragung der Scandaten aus dem Scanner oder vom Tablet auf den Büro-Computer. Je nach Datenmenge dauert dieser 15 Minuten oder länger.

3.
Die Aufbereitung der Scan-Rohdaten in einer Registrierungssoftware. Hier werden die einzelnen Scanner-Standpunkte automatisch berechnet, zusammengeführt und überprüft.

4.
Das Erzeugen einer offenen e57-Datei und deren Export in die BIM-Software, so zum Beispiel in die Planungssoftware Archicad.

5.
Das Einlesen und Positionieren der e57-Datei in Archicad oder einer anderen kompatiblen Software.

6.
Die Nachmodellierung der Punktwolke in der Planungssoftware und der Aufbau als bauteilorientiertes BIM-Gebäudemodell.

7.
Die Nutzung des Gebäudemodells für die weitere Planung (Umbau, Revitalisierung, Erweiterung) bzw. die direkte Übergabe in das CAFM-System als Grundlage für den nachfolgenden Gebäudebetrieb.

Die ständige Revision – oder: Es war. Es soll. Es ist.

Das Ziel eines laserbasierten Bestandsaufmaßes besteht also in der Überführung eines Bauwerks in ein bauteilbasiertes Gebäudemodell – als qualitätsvolle Basis für jede weitere Projektplanung. Eine möglichst exakte Planungsbasis zu haben, war immer der Wunsch Architekten und Ingenieure und unterscheidet das simple Handaufmaß nicht grundsätzlich vom lasergestützten Aufmaß.

Neu ist aber die Qualität der Laser-Messergebnisse auf der einen und die Bandbreite der Einsatzmöglichkeiten eines 3D-Bestandsmodells auf der anderen Seite. So kann das Bestandsmodell für alle weiterführenden Planungen, den Gebäudebetrieb und eine umfassende Bestands-Dokumentation genutzt werden, ebenso wie für die exakte Verortung von technischen Einbauten oder eine kontinuierliche Revision des „Es war“-, des „Soll“- und des „Ist“-Standes über den gesamten Projektverlauf hinweg.

Konsequent fortgeführt bis in die Ausbaugewerke hinein, erhalten die Planenden ein Aufmaß, das aus vielen Ebenen bestehend die gebaute Situation perfekt abbildet. Dennoch darf das nicht als As-built-Modell verstanden werden. Vielmehr sind hier verschiedene Punktwolken übereinandergeschichtet, die sich jeweils zu- und abschalten lassen. Das Facility Management kann so im nachfolgenden Gebäudebetrieb mithilfe einer AR-Anwendung „hinter die Wandverkleidung schauen“ und technische Gebäudeausrüstung, Schächte oder ummantelte Konstruktionselemente wie verdeckte Pfeiler, Stützen und Unterzüge virtuell sichtbar machen.

Hinzu kommt, dass das punktwolkenbasierte und lasergestützte Aufmaß schlichtweg alles erfasst. Anders als beim händischen Aufmaß, wo schnell ein Bezugsmaß oder eine Höhe vergessen ist, besucht man hier nur einmal die Baustelle oder das weiterhin vom Auftraggeber genutzte Gebäude. Ebenso lassen sich im Nachhinein verschiedene Schnitthöhen definieren, die es z. B. ermöglichen, feste Einbauten im Raum auszublenden und nur die Umgebungswände eines Raumes abzubilden – in dem die Schnittlinie oberhalb des Tür- oder Fenstersturzes geführt wird.

Das 360°-Aufmaß eines Scanners bietet darüber hinaus weitere Möglichkeiten, die umfangreichen Punktwolken-Daten umfassend auch nach der Entwurfsphase zu nutzen.

Die unheimlich große Punktwolke

Noch immer hält sich hartnäckig in der Branche, dass Punktwolken großer Gebäude enorme Rechen- und vor allem Arbeitsspeicher benötigen und damit fast jeden Computer lahmlegen. Dazu ist zu sagen: Das ist im Grundsatz richtig, aber dennoch falsch.

Eine Gesamtpunktwolke kann gut und gerne mehrere hundert Gigabyte groß sein und ist damit technisch nicht zu händeln. Moderne Aufmaßsysteme unterstützen jedoch kompakte Einzelpunktwolken, die später mithilfe von Software zusammengefügt werden. Der Vorteil dieser Arbeitsweise: Die deutlich kleineren Punktwolken lassen sich für die Modellierung einzeln zu- bzw. abschalten.

Autor/in

Tim Westphal

Tim Westphal

Selbstständiger Journalist und Berater 

Tim Westphal studierte Architektur an der FH Wismar (Diplom). Arbeit für Architekturmagazine und Volontariat in der Architekturfachbuchabteilung des Callwey-Verlags München, von 2003 bis 2016 Fachredakteur bei der Fachzeitschrift Detail in München. Seit Sommer 2016 als selbstständiger Journalist und Berater tätig.