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VARIUS – BIM-basierte Variantenuntersuchung für verbesserte Planungsentscheidungen

Eine Lösung für kleine und mittelständische Unternehmen

Tom Radisch, Matthias Weise, Dirk Weiß, Thomas Gröschke, Sebastian Fuchs

Ein Konsortium aus Planern, Softwareentwicklern und Wissenschaftlern entwickelte die VARIUS-Anwendung für den Variantenvergleich in frühen Planungsphasen – insbesondere für kleine und mittelständische Unternehmen.

Ausgangspunkt

Die Planung von Gebäuden bietet eine Vielfalt an Gestaltungsmöglichkeiten. Planer und Bauherr müssen zahlreiche Entscheidungen treffen und miteinander koordinieren. Dabei hat jede Entscheidung einen Einfluss auf das Gesamtergebnis, insbesondere für ökonomische, ökologische und nutzwertbezogene Kriterien.

In der Praxis kommt es oft vor, dass Bauherren Entscheidungen ad hoc und basierend auf einer unsicheren Datengrundlage ohne Kenntnis der Konsequenzen treffen. Die Auswirkungen solcher Entscheidungen können während der Planungsphase selten umfänglich überblickt werden.

Die Konsequenzen werden für den Bauherrn häufig erst in der Nutzungsphase erkennbar. Dazu zählen beispielsweise die Nutzungskosten, die CO2-Emissionen oder der thermische Komfort im Sommer und Winter. Bisher fehlten Planungswerkzeuge, die eine systematische Variantenuntersuchung anhand fundierter Bauherrenkriterien fördern und diese als Entscheidungsvorlage aufbereiten, sodass ein strukturierter und belastbarer Entscheidungsprozess durchgeführt werden kann.

Was ist VARIUS?

Im Rahmen der Forschungsinitiative VARIUS haben Praxispartner aus Planung und Softwareentwicklung in Kooperation mit Wissenschaftlern ein BIM-basiertes Planungswerkzeug mit zugehörigem Workflow entwickelt.

Das Ziel besteht darin, die planerische Durchführung und Auswertung von Variantenuntersuchungen zu vereinfachen und eine fundierte Basis für Entscheidungsprozesse durch die Einbindung von Simulationen zu liefern. Damit soll insbesondere kleinen und mittelständischen Unternehmen die Aufbereitung und Kommunikation von Planungsergebnissen erleichtert werden.

Zu den Projektpartnern zählen:

  • Technische Universität Dresden, Institut für Bauklimatik
  • Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur (HTWK) Leipzig
  • TragWerk Software Döking+Purtak GbR
  • AEC3 Deutschland GmbH
  • BauProjekt Dresden GmbH

Methodik von VARIUS

Die entwickelte Vorgehensweise für den Variantenvergleich basiert auf den in Abbildung 1 dargestellten Prozessschritten, die im Folgenden erläutert werden.

Projektziele festlegen

Die Basis für den Variantenvergleich ist die Definition der Projektziele. Der Auftraggeber und der Objektplaner (oder Projektsteuerer) legen diese gemeinsam in Form komprimierter Kennwerte fest. Die Kennwerte sollen einerseits für den Auftraggeber möglichst verständlich und aussagekräftig sein und andererseits mithilfe geeigneter Berechnungswerkzeuge durch die Planungsbeteiligten ermittelt werden können.

Neben typischen immobilienwirtschaftlichen Kennwerten wie Nutzfläche, Investitionskosten oder Jahresenergiebedarf kommen je nach Projekt weitere Kennwerte aus sehr unterschiedlichen Bereichen wie Ökobilanzierung, Nutzerkomfort, Herstellungsdauer usw. dazu.

Um die Auswahl der geeigneten Kennwerte zu Projektbeginn zu vereinfachen, steht die VARIUS-Kennwertedatenbank zur Verfügung. Über gezielte Suchfunktionen kann der Auftraggeber geeignete Kennwerte auswählen und die zugehörigen Prozessschritte oder erforderlichen Berechnungsverfahren (in der Datenbank als Anwendungsfälle hinterlegt, vgl. Abbildung 2) identifizieren. Mit dieser Auswahl sind die Projektverantwortlichen in der Lage, gegenseitige Abhängigkeiten zwischen Kennwerten und Prozessschritten zu identifizieren sowie diese in der späteren Variantenbildung und Simulation zu berücksichtigen.

Variantenbildung

Basierend auf den Projektzielen bildet der Objektplaner Varianten in Abstimmung mit den Fachplanern. Im VARIUS-Projekt wird die praxistaugliche Entwicklung des BIM-basierten Planungswerkzeuges durch die konkrete Planung eines fiktiven Wohn- und Geschäftshauses im Dresdner Stadtteil Friedrichstadt unterstützt. Die Definition von Anforderungen der Bauherrschaft erfolgte hierbei aus der praktischen Erfahrung heraus.

Auf dieser Grundlage entstanden drei grundlegende Gebäudevarianten im Rahmen einer geltenden Gestaltungssatzung für einen konkret definierten Standort (siehe Abbildungen 3.1 bis 3.3).

Das Gebäude ist Teil einer noch nicht geschlossenen Blockrandbebauung und besitzt in allen Varianten ein Kellergeschoss, fünf oberirdische Geschosse und einen ausbaufähigen Dachkörper. Die oberirdische Geometrie ist aufgrund der Nachbarbebauungen und der städtischen Satzung nur in geringem Maß veränderbar.

Variante 1 verfolgt den Ansatz, elf vermietbare Einheiten mit geringem Rohbauaufwand zu realisieren. Hierzu wird die Mindestanzahl der notwendigen Pkw-Stellplätze über Parkflächen im Hof und Doppelparker im Erdgeschoss untergebracht. Das Oberdach verbleibt als Ausbaureserve.

Variante 2 geht von einer vollflächigen Grundstücksüberbauung mittels Tiefgarage aus. Das entstehende Hochparterre vergrößert hierbei die Mietfläche.

Variante 3 ist identisch mit der ersten Variante, der gesamte Dachkörper wird allerdings für zwei hochpreisige Maisonettewohnungen genutzt.

Die für das Investment relevanten Geometrie- und Kostenkennwerte stehen bereits in der frühen Planungsphase zur Verfügung als bei herkömmlichen Schätzungen.

Die Auswertung der entwickelten 3D-Modelle erfolgt mit größtmöglicher Automatisierung durch Ausnutzung der Funktionalität des verwendeten CAD-Systems und einer Übertragung von Informationen mittels IFC-Schnittstelle in BIM-fähige Softwareprodukte der am VARIUS-Projekt beteiligten Partner. Die für das Investment relevanten Geometrie- und Kostenkennwerte stehen somit bereits in der frühen Planungsphase mit einer größeren Mengengenauigkeit und Detailtiefe zur Verfügung im Vergleich zu herkömmlichen Schätzungen, in denen ausschließlich der Bruttorauminhalt oder die Bruttogrundfläche als projektspezifische Größen zur Kalkulation herangezogen werden.

Für die strukturierte Verwaltung der Varianten steht dem Objektplaner das neu entwickelte Werkzeug, die VARIUS-Software, zur Verfügung (vgl. Abbildung 4). Darin können neben den gebildeten Varianten insbesondere die zugehörigen Kennwerte, die Planungs- und Simulationsergebnisse sowie zugehörige BIM-Modelle und Dokumente geladen, verknüpft und aufbereitet werden.

Ein wesentlicher Vorteil bei der Anwendung der VARIUS-Software ist die gesteigerte Übersichtlichkeit über die Historie der Variantenerstellung, über die wesentlichen Unterscheidungsmerkmale zwischen den Varianten sowie über die bereits getroffenen Entscheidungen für oder gegen die Varianten. Dabei können zahlreiche digitale Planungswerkzeuge an die Software angebunden und somit die zugehörigen Informationen unter Verwendung der BIM-Methodik zentral und konsistent verwaltet und ausgewertet werden.

Simulation

Wenn die Auswirkungen der Variantenbildung auf die Projektziele des Auftraggebers nicht mithilfe herkömmlicher planerischer Methoden bestimmt werden können, lassen sich hierfür fachspezifische Simulationen heranziehen. Beispielsweise dienen Gebäudeenergiesimulationen der Untersuchung des Einflusses konstruktiv-technischer Entscheidungen auf die energetischen Kennwerte (z. B. Energiebedarf und Behaglichkeitskriterien). Anderseits ermöglicht die Simulation technischer Anlagen des Gebäudes zur Heizung und Kühlung die Berechnung von Auswirkungen auf ökologische und ökonomische Kennwerte (z. B. CO2- und Kostenbilanz).

In Abhängigkeit von der vorhandenen Datengrundlage und der geforderten Genauigkeit der Kennwertermittlung wurden im VARIUS-Projekt zwei unterschiedliche Planungsprozesse abgebildet (siehe Abbildung 5). Für die Durchführung grundlegender Entscheidungen in sehr frühen Planungsphasen, in denen noch kein virtuelles Architekturmodell zur Verfügung steht, kann ein sogenanntes generisches Gebäudemodell über Algorithmen automatisiert erstellt und für die Simulationen herangezogen werden. In späteren Planungsphasen wird der konkrete Entwurf des Objektplaners als digitales Modell in die Anwendung zur bauphysikalischen Simulation übernommen.

Für beide Szenarien erfolgte im VARIUS-Projekt die Anreicherung der Modelle mit Parametern wie Konstruktionseigenschaften und Nutzungsprofilen. Dabei wurde das Gebäude in Variantenstudien sowohl hinsichtlich bauphysikalischer Anforderungen (z. B. Einhaltung des sommerlichen Wärmeschutzes) als auch hinsichtlich wirtschaftlicher Kennwerte (z. B. Energie- und Lebenszykluskosten) optimiert.

So konnten mit fortschreitender Planung stufenweise die für den Bauherrn relevanten Kennwerte ermittelt und der Gebäudeentwurf z. B. hinsichtlich der Wahl der Wärmeerzeugung (hier: Luft-Wasser-Wärmepumpe in Kombination mit Gas-Brennwerttechnologie und Photovoltaik) und der Festlegung des optimalen Fensterflächenanteils (siehe Abbildung 3) präzisiert werden. Diese Vorgehensweise geht mit einem gegenüber der aktuellen Planungspraxis erhöhten Aufwand am Projektbeginn einher, sie steigert jedoch in dieser wichtigen Planungsphase die Entscheidungssicherheit und die Ausschöpfung des Optimierungspotenzials.

In der VARIUS-Kennwertedatenbank ist u. a. dokumentiert, welche Eingangsgrößen (bzw. Informationsanforderungen) für die Durchführung entsprechender Simulationen erforderlich sind. Dadurch können der Objektplaner oder ggf. der Projektsteuerer den Datenaustausch zwischen den Fachplanern gezielt, transparent und schnell organisieren.

Ergebnisse visualisieren

Mithilfe der VARIUS-Software können gemäß Abbildung 6 automatisiert Ergebnisübersichten zur Gegenüberstellung ausgewählter Varianten hinsichtlich der definierten Projektziele erstellt werden. Insbesondere die Verknüpfung der Varianten und ermittelten Kennwerte mit Fachmodellen (z. B. Gebäudemodelle, Vorgangspläne oder Kostenmodelle) ermöglicht die anschauliche Visualisierung von Unterschieden sowie die Präsentation der erwarteten Leistungswerte des Gebäudes.

Variantenentscheidung

Basierend auf den in den Projektzielen definierten Kennwerten kann der Auftraggeber mithilfe der anschaulich präsentierten Planungs- und Berechnungsergebnisse fundierte Entscheidungen treffen. In der Praxis besteht die Möglichkeit, die Variantenauswahl einzuschränken und die Kennwerte schrittweise zu erweitern. Die VARIUS-Systematik (Projektziele definieren – Varianten bilden – simulieren – kennwertbasiert entscheiden, vgl. Abbildung 1) wird somit sukzessive fortgesetzt und die Planung in einem iterativen Prozess fortlaufend präzisiert.

Mit zunehmender Detaillierung können zunächst das Bausystem (z. B. die äußere Form des Gebäudes oder die wesentlichen Komponenten der Anlagentechnik), anschließend das Funktionssystem (z. B. die innere Gliederung des Gebäudes oder das regelungstechnische Zusammenwirken der Anlagentechnik) und schließlich das Elementsystem (z. B. Baumaterialien des Gebäudes oder die Dimensionierung der Anlagentechnik) festgelegt werden.

Arbeitsstand und Ausblick

Das beteiligte Konsortium entwickelte im Rahmen des VARIUS-Projekts eine prototypische Software-Anwendung. Ziel der Projektbeteiligten ist es, im Rahmen von Bauprojekten die Methodik des simulationsbasierten Variantenvergleichs mithilfe der selbst erarbeiteten Tools anzuwenden, um die Erkenntnisse praktisch zu verwerten und Entscheidungsprozesse in der frühen Planungsphase von Bauprojekten auf eine fundierte Basis zu stellen.

Autor/innen

Tom Radisch

Tom Radisch

HTWK Leipzig 

Tom Radisch M. Eng. studierte Energie-, Gebäude- und Umwelttechnik an der HTWK Leipzig und arbeitet dort als wissenschaftlicher Mitarbeiter für den Fachbereich BIM. Im Rahmen der vom Freistaat Sachsen geförderten Nachwuchsforschergruppe DigiTransSachs begleiteter kleine und mittelständige Unternehmen bei der Implementierung von BIM-Methoden. (htwk-leipzig.de)
 
Dr.-Ing. Matthias Weise

Matthias Weise

AEC3 Deutschland GmbH

Dr.-Ing. Matthias Weise promovierte an der TU Dresden im Fach Bauinformatik und arbeitet seit 2009 bei der AEC3 Deutschland GmbH. Aus der Beratungstätigkeit und den langjährigen Erfahrungen bei der AIA-Erstellung entstand die Software BIMQ, die er als Entwicklungsleiter seit Beginn mitverantwortet. (bimq.de)
Dirk Weiß

Dirk Weiß

TU Dresden

Dirk Weiß studierte Bauingenieurwesen an der TU Dresden und arbeitete dort als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Institut für Bauklimatik. Er hat sich auf die Gebäudeenergie- und Anlagensimulation spezialisiert und ist u. a. in die Projekte SimQuality und PVTool eingebunden. (tu-dresden.de)
Thomas Gröschke

Thomas Gröschke

BauProjekt Dresden GmbH

Dipl.-Ing. Thomas Gröschke M. Sc. studierte Architektur an der TU Dresden und Bauingenieurwesen an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Dresden. Aktuell arbeitet er als Geschäftsführer der BauProjekt Dresden GmbH und verantwortet Wohnungsbauprojekte vom ersten Entwurf bis zur Bauausführung. (bauprojekt-dresden.de)
Dr. Sebastian Fuchs

Sebastian Fuchs

TragWerk Consult

Dr. Sebastian Fuchs ist seit 2005 Bauinformatiker bei TragWerk. An der TU Dresden entwickelte er die Multimodell-Methode für verlinkte BIM-Daten. Er engagierte sich für deren Standardisierung bei buildingSMART und DIN. In der Ingenieurkammer Sachsen wirkt er im Arbeitskreis BIM mit. Sebastian Fuchs ist Mitglied bei buildingSMART. (tragwerk-consult.de)