
Nachhaltigkeit im Quadrat
Siemens baut in Berlin einen Stadtteil nach ökologischen Standards
Konsequent eingesetzt, verhelfen BIM und digitale Gebäudezwillinge ganzen Quartieren zu mehr Klimaverträglichkeit und Effizienz.
Die energieeffizienten und klimaverträglichen Gebäude und Stadtteile von morgen müssen heute geplant und gebaut werden. Bauen im Einklang mit den Klimazielen bedeutet für Deutschland beispielsweise, dass der Bedarf an Primärenergie in Gebäuden bis 2050 um 80 Prozent gesenkt werden muss.
Damit das gelingt, müssen Gebäude intelligenter als bisher geplant und vor allem auch betrieben werden. Dafür kann die Bauindustrie aus dem vollen Potenzial der Digitalisierung schöpfen: Building Information Modeling (BIM) und Digitale Zwillinge spielen dabei eine zentrale Rolle.
In einem neuen Bauvorhaben zeigt die Siemens AG, welche Vorteile genaue, nahtlos weitergeführte Datenmodelle in der Projekt- und Betriebsphase bringen.
Die neue Siemensstadt
Auf einem Industrieareal von rund 76 Hektar entsteht in Berlin ein neuer Stadtteil, das größte Entwicklungsprojekt in der Geschichte der Siemens AG. Per öffentlicher Abstimmung wurde dem bisherigen Namen die Potenz 2 hinzugefügt. Die Siemensstadt2 (ausgesprochen: Siemensstadt Square) sieht eine Mischnutzung aus Industrie, Gewerbe, Forschung und Lehre, Wohnen, Beherbergung und sozialer Infrastruktur vor. Dabei werden rund 2.700 neue Wohnungen sowie eine vierzügige Grundschule, zwei Kindergärten und weitere Sozial- und Kultureinrichtungen und Ladenlokale für Einzelhandel und Gastronomie errichtet. Die gesamte projektierte Geschossfläche beträgt rund eine Million Quadratmeter; das Investitionsvolumen 600 Millionen Euro.
Siemensstadt Square steht aber nicht nur für ein lebendiges, vernetztes Quartier, sondern auch für ehrgeizige Klima- und Nachhaltigkeitsziele. Hier werden höchste Standards für nachhaltiges Bauen umgesetzt, wie der CO2-neutrale Betrieb der Gebäudeinfrastruktur oder auch die Entwicklung eines nachhaltigen Mobilitätkonzepts.
Nachhaltigkeit wird konsequent und umfassend gedacht, sowohl was den Bauprozess angeht, der sich insgesamt über zehn Jahre erstrecken wird, als auch im späteren Betrieb aller Gebäude – einschließlich einer stadtteilweiten Energieoptimierung und bis hin zu Konzepten für die Umnutzung oder eine ressourcenschonende Wiederverwendung bei einem späteren Rückbau.
Nahtlos vom Projektmodell zum Smart-City-Betrieb
Ein Projekt mit diesem Anspruch und dieser Größe ist ohne stringente Prozesse und die richtigen technischen Werkzeuge nicht zu bewältigen. In einem ersten Schritt wurde deshalb aus Bestandsdaten, dem Masterplan und den einschlägigen Vorschriften mit den BIM-Tools ein Projekt-Informations-Modell entwickelt. Dieses dient nun als Grundlage für die gesamte Projektarbeit – egal, ob es sich um die Kommunikation mit den Beteiligten handelt, um Analysen zu bestehender Infrastruktur, Simulationen für die Energieversorgung oder die Information der Bürgerinnen und Bürger.
Sobald ein Gebäude oder eine Energieversorgung in Betrieb genommen wird, geht dieses Projekt-Informations-Modell nahtlos in ein Betriebsmodell über, bis schließlich alle Objekte des Stadtteils Siemensstadt Square in Betrieb sind. Entscheidend ist dabei, schon von Beginn an den späteren Vollbetrieb im Auge zu haben und ein passendes Datenmodell zu entwickeln.
Genaue Modelle – ob von einem Gebäude (mit BIM) oder von der Geografie (mit GIS) – sind eine unbedingte Voraussetzung für ein solches umfassendes Datenmodell. Und „genau“ bedeutet in diesem Fall nicht nur „optisch korrekt und syntaktisch richtig“, sondern, dass Objektdaten maschinenlesbar und semantisch verknüpft sein müssen. Pro Objekt darf es nur einen eindeutigen Schlüssel geben, der dieses Objekt überall auf die gleiche Weise referenziert. Nur damit ist ein Computer später in der Lage, z. B. ein optimales Energieversorgungskonzept zu berechnen, das auf den im Modell hinterlegten Parametern und Annahmen beruht, oder Energiesimulationen auf Basis künstlicher Intelligenz zur Betriebsoptimierung zu nutzen.
Verknüpfung von BIM und Digital Twin
BIM kann auch einen reibungslosen Projektablauf fördern. Allgemein verbindliche Regeln für alle Projektbeteiligten, basierend auf den von Siemens Real Estate aufgestellten BIM-Regeln für die eigenen Gebäude, wurden für das Siemensstadt Square-Projekt nochmals erweitert und um ein ausführliches Anlagenkennzeichnungssystem (AKS) ergänzt.
Die Daten zur Identifikation technischer Systeme, die das AKS liefert, sind wiederum Attribute in den BIM-Asset-Objekten. Damit wird die Brücke zu den digitalen Gebäudezwillingen geschlagen, welche als Grundlage für den späteren energieoptimierten, intelligenten Betrieb der Gebäude dienen.
Angereichert mit Daten über das Energienetz sowie Verkehr, Mobilität, Wetter und anderen Informationen, ergibt die Summe dieser Gebäudezwillinge dann ein City-Informations-Modell, das die Grundlage für alle anwenderorientierten Applikationen darstellt. Als Anwender sind nicht nur die am Bau und späteren Betrieb Beteiligten angedacht. Die Plattform des City-Informations-Modells enthält insbesondere auch Information für die Nutzer der Siemensstadt Square, egal ob Mieter, Schüler, Lehrer, Betreuer oder Firmenmitarbeiter. Die maschinenlesbaren Daten haben damit eine Reise von der Planung bis zur Nutzung durchgemacht – und dank der richtigen semantischen Verknüpfung sind sie auch am richtigen Ziel angekommen.
Fortschreitende Digitalisierung fordert neue Prozesse
Besonders angesichts der Vorteile – ineinandergreifende Projektphasen, optimierte Nutzung – scheint die von BIM vorgegebene Genauigkeit einleuchtend zu sein. Im täglichen Leben auf der Baustelle ist sie – bisher zumindest – eher hinderlich, kostet Zeit und Geld und bringt während des Bauens wenig Mehrwert. Denn die heutigen Prozesse in der Baubranche, und insbesondere deren Vergütung, passen nicht mehr zur fortschreitenden Digitalisierung des Bauens.
Noch erstellt der Planer nur seine Plandaten, die Baufirma die Baudaten, mit ihren jeweils eigenen BIM-Modellen. Optimierung findet nur isoliert statt, Know-how wird nicht in die nächste Projektphase weitergegeben, und nur wenige Beteiligte haben einen ganzheitlichen Blick auf den Projektablauf. Die Digitalisierung in der Bauindustrie führt hingegen zur Verknüpfung aller Themen und Anforderungen der einzelnen Projektphasen und gewährleistet den für nachhaltige Bauprojekte notwendigen klaren Blick aufs Gesamtbild.
Für die Digitalisierung der Baubranche gibt es viele gute Gründe. Zum einen gilt es, immer mehr Vorschriften einzuhalten: von der Nutzung von BIM bei öffentlichen Aufträgen oder Umweltauflagen wie im Rahmen der europäischen Richtlinie über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden (EPBD). Aber auch Anforderungen der Investoren und Eigentümer im Rahmen von Corporate Social Responsibility sind ohne Digitalisierung von Prozess und Betrieb kaum mehr zu erfüllen.
Digitale Tools potenzieren die Gebäudeeffizienz
Auch die gesetzlich vorgeschriebene Klimaverträglichkeit, wozu beispielsweise die Senkung der Primärenergie in Gebäuden bis 2050 um 80 Prozent gehört, ist möglich, wenn die entsprechenden Technologien von Anfang an in die Planung einbezogen werden. Frühe Modelle und entsprechende Simulationen helfen dabei, Heiz-, Strom- oder Beleuchtungskosten noch weiter zu reduzieren sowie Raumnutzung und den Einsatz nachhaltiger Materialien zu optimieren.
So lässt sich bereits im Planungsstadium simulieren, welche Auswirkungen z. B. verschiedene Fassaden- oder Fenstertypen auf den gesamten CO2-Fussabdruck haben, von der grauen Energie bei Bau und Montage über den Einfluss auf den Energieverbrauch im Betrieb bis zur benötigten Energie bei der Verwertung – um nur wenige ausgewählte Beispiele für die Nutzung digitaler, maschinenlesbarer Daten zu nennen. Dieser Ansatz geht weit über die Kostenvergleichskalkulationen hinaus, wie sie heute üblich sind.
BIM und ein ordentliches BIM-Nutzungsmodell legen den Grundstein, um die Vorteile der Digitalisierung in der Baubranche in Zukunft besser ausschöpfen zu können. Großprojekte wie die Siemensstadt Square fördern eine weitere Standardisierung und betreiben wichtige Öffentlichkeitsarbeit für die Anwendung von BIM und digitalen Zwillingen. Für die zukünftige Infrastruktur bedeutet das Nachhaltigkeit hoch 2.