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Investoren müssen die Potenziale von BIM erkennen

Interview mit Christiane Mann

Auf dem letzten buildingSMART International Standards Summit in Lillestrøm, Norwegen, gab es am ersten Tag einen Vortragspanel zum Thema Digital Products. In dieser Sitzung ging es um die wachsende Notwendigkeit, Produkte mit dem Open-BIM-Workflow zu verbinden, um Transparenz und Berichterstattungsfähigkeit zu verbessern und so auch die Herausforderungen des Klimawandels und der Produktivität in der gebauten Umwelt direkt anzugehen. Mit dabei: Christiane Mann, Vice President, Head of Industry Affairs - Siemens Smart Infrastructure. Mit ihr unterhielten wir uns nach der Session über die relevanten Inhalte ihrer Rede.

Frau Mann, warum ist Building Information Modeling, BIM, für eine nachhaltige Bauindustrie so wichtig?

In der Bau- und Infrastrukturindustrie sind wir derzeit mit drei Trends konfrontiert. Erstens: Bewältigung wirtschaftlicher Herausforderungen insbesondere vor dem Hintergrund steigender Zinsen und dem Arbeitskräftemangel. Die Bauindustrie ist nicht bekannt für Produktivität, Effizienz und Fortschritte. Beim zweiten Trend dreht sich alles rund um das Thema Nachhaltigkeit und die Lebenszyklusbetrachtung. Nachhaltigkeitsthemen gewinnen an Aufmerksamkeit, auch bei den Regulatoren, wie zum Beispiel der EU-Kommission. Auch Investoren und Gebäudenutzer legen einen zunehmenden Fokus auf Nachhaltigkeit. Der dritte Trend ist die steigende Bedeutung von Smart Infrastructure, also intelligente Gebäude, von denen wir mehr und mehr haben.

Sie sprechen eine vernetzte Infrastruktur an?

Ja, genau. Smart Infrastructure bedeutet verknüpfte Infrastruktur und Daten. BIM erlaubt es uns, alle drei Trends zu adressieren. BIM gibt uns die standardisierte Semantik, die wir benötigen, damit auch intelligente Systeme sich austauschen können. BIM ist ein strukturierter Prozess, der alle Beteiligten auf aktueller und einheitlicher Datenbasis mit einbindet. Damit kann BIM als Hebel benutzt werden, um die Digitalisierung im Bereich der Bauindustrie und des Infrastruktursektors zu strukturieren.

Können Sie diesbezüglich einige Aspekte nennen?

Rund um BIM können wir beispielsweise nicht nur ein Construction Digital Twin haben, der ja im Prinzip eine statische Abbildung des Gebäudes ist. Wenn wir diesen mit den digitalen Zwillingen der verbauten Produkte kombinieren, die Echtzeitdaten generieren, schaffen wir einen Performance Digital Twin. Das ist der Zwilling, anhand dessen Betreiber und Nutzer eines Gebäudes den Betrieb dieses Gebäudes effizienter und nutzerorientiert gestalten können.

In Ihrer Präsentation auf dem buildingSMART International Standards Summit in Lillestrøm, Norwegen, sagten Sie: BIM ist für die Bauindustrie das, was die Industrie 4.0 für die Fertigungsindustrie ist.

Ja. Es ist interessant sich vor Augen zu führen: Wo kommt Industrie 4.0 historisch her? Das Industrie 4.0 Konzept ist in Deutschland entwickelt worden. Und wieso in Deutschland und beispielsweise nicht in den USA? Weil wir in Deutschland viele kleine Hersteller und eine dezentrale Lieferkette haben, die über mehrere Spieler läuft. Das heißt: Wenn ich als OEM (Anm. d. Red.: OEM=Original Equipment Manufacturer) meine Lieferkette optimieren und nachhaltiger gestalten möchte, dann muss ich einen Weg finden, wie ich mich zusammen mit meinen Zulieferern und Lieferanten abstimmen kann. Das hat bei der Industrie 4.0 einige Jahre gedauert. Unter anderem musste man sich auf Semantik und Standards einigen und Prozessketten definieren und digitalisieren.

In der Bau- und Infrastrukturindustrie stehen wir nun am Anfang genau dieser Herausforderung – unter Umständen mit einer leicht größeren Skalierung. Wir haben sehr viele Stakeholder und sehr starke „Silos“ – jeder kann seinen Teil liefern, ohne das große Ganze zu berücksichtigen.

Was ist das entscheidende Hemmnis?

In meinem Vortrag hatte ich es gesagt: Die Bauindustrie hinkt anderen Branchen hinterher: Die Bauindustrie hatte in den letzten Jahren 1 Prozent Produktivitätszuwachs, die Fertigungsindustrie rund um Industrie 4.0 hatte 3,6 Prozent. Zwischen diesen beiden Werten liegen Welten. Gleichzeitig steigen zurzeit die wirtschaftlichen Herausforderungen – steigende Zinsen, Verfügbarkeit, Lieferketten-Probleme etc.

Was heißt das für BIM?

Mit BIM kann ein Gebäude oder eine Infrastruktur erst digital und danach real gebaut werden. BIM ist der Prozess, der die Anforderungen definiert und dieses Vorgehen unterstützt. Mit den digitalen Modellen können verschiedene Simulationen und Analysen bereits in der Planungsphase durchgeführt werden, um beispielsweise die Energieeffizienz, die Lebenszykluskosten oder die Nachhaltigkeit des Projekts zu bewerten. Dies hilft, bessere Entscheidungen zu treffen. Nach Abschluss eines Bauprojekts werden die digitalen Modelle als Grundlage für den Betrieb und die Instandhaltung des Gebäudes genutzt. Sie enthalten Informationen zu den verwendeten Materialien, zur Gebäudeausrüstung und anderen wichtigen Details, die für den langfristigen nachhaltigen Betrieb relevant sind.

Gebäude haben eine Lebensdauer von 30 bis 50 Jahren, in denen sie große Datenmengen erzeugen. Ein BIM-Modell und seine Bibliotheken liefern 95 % aller Informationen, die der digitale Zwilling benötigt. Statische Daten, die für die Entwurfs- und Bauphase relevant und wertvoll sind, entfalten ihr volles Potenzial während der Betriebs- und Wartungsphase des Gebäudes, wenn Zeitreihen Wertdaten wie Temperatur oder Luftfeuchtigkeit in Leistungsdaten umwandeln. Daher ist die frühzeitige Einbindung in die Designphase eines Digitalen Zwilling entscheidend, um sicherzustellen, dass Funktionalitäten und Produkte passend für den effizienten Betrieb des Gebäudes definiert und dimensioniert sind.

Die Akzeptanz und Einführung von BIM, hat in den vergangenen Jahren erhebliche Fortschritte gemacht, auch wenn nicht alle Herausforderungen beseitigt sind, wie zum Beispiel Implementierungskosten, hohe Komplexität, Mangel an Experten sowie die generell eher geringe Bereitschaft Veränderungen beziehungsweise Neuerungen einzuführen. Die Entwicklung von Standards oder Interoperabilität adressieren wir hier durch unser Engagement bei buildingSMART International.

Während BIM erhebliche Vorteile in Bezug auf Projekteffizienz, Kosteneinsparungen und verbesserte Zusammenarbeit bietet, erfordert die Überwindung dieser Hindernisse eine konzertierte Anstrengung aller Beteiligten in der Baubranche, einschließlich Regierungen, Berufsverbänden und Bildungseinrichtungen. Da das Bewusstsein und das Verständnis für BIM weiter zunehmen und die Technologie standardisierter und zugänglicher wird, wird ihre Akzeptanz wahrscheinlich zunehmen.

Auch bei den Investoren muss für das Potenzial von BIM Aufmerksamkeit generiert werden – nicht nur, dass es Effizienz in der Lieferkette, im Bauen und den operativen Prozessen mit sich bringt. Wenig Aufmerksamkeit hat bis dato die Berichterstattung rund um Nachhaltigkeit und Effizienz im Betrieb bis hin zur Wiederverwertbarkeit der Materialien beim Rückbau. Hierzu braucht es Daten, die der Digitale Zwilling liefern kann.

Ihr Fazit lautet daher?

Building Information Modeling wird den Bau und Betrieb von bestehenden und neuen Gebäuden durch mehr Transparenz optimieren und verändern. Die Digitalisierung mit BIM wird es dem Infrastruktursektor ermöglichen, die hohen Anforderungen an Produktivitätssteigerung, pünktliche Lieferung und Ressourcenschonung zu erfüllen. Der Wert, der durch BIM generierten Daten ist über den Lebenszyklus am höchsten und in der Nutzungsphase weit höher als nur in der Planungs- und Bauphase und bietet Immobilieninvestoren spannende Möglichkeiten, ihre Prozesse zu rationalisieren, Kosten zu optimieren und die Entscheidungsfindung zu verbessern.

Wenn wir es schaffen mit Hilfe von buildingSMART International Standardisierung und Semantik voranzutreiben, die auch im Betrieb zum Einsatz kommt, dann hat BIM das Potential im Mittelpunkt der digitalen Transformation der Baubranche zu stehen.