Atomkraftwerk Hinkley Point CEDF
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Fallstudie: IFC für Atomkraftwerk

In Großbritannien wird mit Hinkley Point C das erste Atomkraftwerk seit vielen Jahren errichtet. Die Projektabwicklung erfolgt mit kollisionsfreien 3D-Modellen.

Tim Davies

Wir sind stolz darauf, dass wir IFC zu einem alltäglichen Teil unserer Arbeit machten und zeigen konnten, dass es sich um einen besonders leistungsfähigen Standard für die gesamte AEC-Branche (Architektur, Ingenieur- und Bauwesen) handelt.

Für uns ist IFC nicht etwas, worüber wir nur sprechen, das wir nur mal ausprobieren oder das neben nativen Modellen als nettes Nice-to-Have dabei ist. IFC ist unsere primäre Modelldatenstruktur und bildet die Grundlage all unserer digitalen Modell-Workflows. Immer, wenn jemand ein Modell darstellen muss, ist das IFC-Modell dafür die erste Wahl.

Wie alltäglich die Arbeit mit IFC bei Bylor wirklich ist, zeigt vor allem die Tatsache, dass die Verwendung des Standards im Rahmen der Projektabwicklung so gut wie nie in Frage gestellt wird. Diskussionen über dieses Thema finden zwar statt, doch die Vorteile, die IFC mit sich bringt, liegen für jeden sofort auf der Hand.

Externe Mitarbeiter sind oft überrascht, in welchem Umfang wir IFC nutzen. Diese Überraschung basiert jedoch in der Regel entweder auf falschen Vorstellungen oder schlechten Erfahrungen, die in der Vergangenheit mit IFC gemacht wurden. Sobald sie aber sehen, wie wir IFC bei uns nutzen, sind sie sofort begeistert.

Fallstudie Hinkley Point C

Der Neubau des Atomkraftwerks Hinkley Point C ist eines der weltweit größten Bauprojekte. Schon zu Beginn des Projekts war klar, dass ein kollisionsfreies, baubares 3D-Design von entscheidender Bedeutung für die effiziente Abwicklung des Bauprojekts sein würde. Wir waren uns bewusst, dass die umfangreiche Lieferkette riesige Mengen an Entwurfs- und Konstruktionsdaten von einer Vielzahl an Unternehmen und vielen verschiedenen Plattformen mit sich bringen würde.

Ein potenzieller Lösungsansatz wäre gewesen, eine bestimmte Software oder Plattform für alle Unternehmen vorzuschreiben. Dies verstößt allerdings gegen das Prinzip, den Menschen die Auswahl des für ihre Arbeit am besten geeigneten Tools zu überlassen.

Aus diesem Grund haben wir uns für eine Standardisierung der Datenschicht entschieden. Die dafür passende Lösung war IFC, der ISO-Standard für Daten im Bauwesen. Durch die einheitliche Datenstruktur ist es uns möglich, Modelle von vielen verschiedenen Plattformen auf vielen verschiedene Plattformen zu übertragen.

Atomkraftwerk Hinkley Point C

Atomkraftwerk Hinkley Point C im Bau

Bildcredit: EDF

IFC und Mitarbeiter

Unsere Ingenieure lieben IFC wegen der Freiheiten, die ihnen der Standard bietet. Dank IFC können sie das beste Tool für ihre Arbeit anbieterunabhängig aus einem großen Ökosystem an Tools auswählen. Ironischerweise haben wir dadurch zwar die Möglichkeit, viel mehr Tools zu nutzen als andere. In der Realität nutzen wir jedoch viel weniger Tools, denn IFC ist faktisch die einzige Modelldatenstruktur, die wir unterstützen müssen.

Für die jüngeren Ingenieure, die über Bylor in die Baubranche einsteigen, stellt sich gar nicht mehr die Frage, ob IFC funktioniert oder nicht. Oft fällt es ihnen sogar schwer, zu verstehen, wie ein Bauprojekt ohne IFC überhaupt funktionieren kann. Wenn sie sich ein Modell ansehen sollen, das kein IFC-Modell ist, fordern sie meist entweder automatisch ein IFC-Modell an oder wandeln es selbst in ein IFC-Modell um.

Nachdem man eine Weile mit IFC gearbeitet hat, beginnen die anderen Modelle, sich ziemlich unnatürlich und restriktiv anzufühlen. Warum also etwas anderes nutzen, wenn IFC so umfassend unterstützt wird?

Die Verwendung eines offenen Standards wie IFC hat darüber hinaus den Vorteil, dass wir sicher sein können, dass unsere Modelldaten niemals von einem Softwareanbieter gesperrt oder unzugänglich gemacht werden. Bei proprietären Formaten hat man stets ein ungutes Gefühl, weil man nicht wirklich weiß, wie die Daten gespeichert oder ob sie in XY Jahren noch unterstützt werden.

IFC und Technologie

Durch die Kontinuität von IFC als ISO-Standard können wir unbesorgt in Tools, Infrastruktur und Workflows investieren, da wir immer die vollständige Kontrolle über unsere Daten haben. Wir müssen uns nicht mit Problemen auseinandersetzen, die die Bindung an einen bestimmten Anbieter oder an ungewisse zukünftige Lizenzkosten mit sich bringen können.

Aus diesem Grund hat Bylor eine weltweit führende Suite digitaler Tools entwickelt, die auf IFC basieren. Denn IFC erfüllt alle unsere Anforderungen, egal ob es um die Erkennung von Hohlräumen in Beton-Modellen zu Gesundheits- und Sicherheitszwecken, um die Einbindung zusätzlicher Eigenschaften, um die Optimierung der internen IFC-Struktur oder um das Löschen von sicherheitsrelevanten Daten aus den Modellen geht.

Wir haben unter anderem ein Tool entwickelt, mit dem Betonoberflächen auf Grundlage der CESMM-Methode (Civil Engineering Standard Method of Measurement) erkannt und klassifiziert werden können, wodurch Tausende Stunden Arbeit eingespart werden, die sonst für das manuelle Analysieren von Modellen und das Abrufen der darin enthaltenen Daten anfallen würden. Obwohl die Kernlogik prinzipiell in jedes Tool hätte implementiert werden können, ist unser selbst entwickeltes Tool um ein Vielfaches flexibler, wenn man es auf Grundlage von IFC aufbaut.

Darüber hinaus können die Erfahrungen, die Menschen bei der Entwicklung eines Tools mit IFC machen, direkt auf andere IFC-basierte Tools übertragen werden. Es ist nicht notwendig, ein Dutzend verschiedene APIs zu lernen, nur um mit Modellen arbeiten zu können, die mit unterschiedlichen Softwareanwendungen erstellt wurden. IFC-Kenntnisse sind für Entwickler in der Baubranche mittlerweile also fast so etwas wie eine Superkraft geworden.

Tools mit IFC-Unterstützung bieten langfristige Vorteile, da sie mit minimalem Instandhaltungsaufwand weiter genutzt und z. B. bei zukünftigen Nuklearprojekten wie Sizewell C eingesetzt werden können.

Atomkraftwerk Hinkley Point C

Atomkraftwerk Hinkley Point C im Bau

Bildcredit: EDF

Open Source und Innovation

Die Offenheit von IFC hat dazu geführt, dass das Ökosystem der Open-Source-Tools in der AEC-Branche rasant wächst. Ein großartiges Beispiel für ein derzeit von uns eingesetztes Open-Source-Tool ist BlenderBIM, das sich schnell zum Visualisierungstool unserer Wahl entwickelt hat.

Da wir auf IFC aufbauen, können wir solche Innovationen fast sofort nutzen und müssen nicht erst auf Massen-Software-Upgrades warten. Wir können dynamisch arbeiten, neue Software ganz einfach bereitstellen und auch nach Projektstart die für die Arbeit am besten geeigneten Tools einsetzen.

Natürlich ist IFC nicht perfekt. Bei Export- und Importimplementierungen bemerken wir nach wie vor Inkonsistenzen. Aber daran wird kontinuierlich gearbeitet. Bei einem großen technischen Problem können wir die Ursache aufgrund der Offenheit des Datenstandards viel einfacher identifizieren und eine kreative Lösung finden.

Fazit

Meine Empfehlung lautet: Teilen Sie Ihre Ideen und Ihr Feedback mit buildingSMART und verbessern Sie so die Zukunft von IFC, damit der Standard von allen noch besser genutzt werden kann. Wenn Sie noch nicht mit IFC vertraut sind, empfehle ich Ihnen, sich so schnell wie möglich darüber zu informieren.

Ein guter Ausgangspunkt ist Emma Hoopers exzellenter Leitfaden für IFC-Neulinge: „Was bedeutet IFC und wofür wird es benötigt?“

Investieren Sie etwas Zeit und fokussieren Sie sich ganz auf IFC. Sobald Sie sich an die Freiheiten gewöhnt haben, die IFC mit sich bringt, möchten Sie sicher nie wieder ohne IFC arbeiten.

 


Der Artikel erschien zuerst im IFC Special Report, der von buildingSMART UK and Ireland und dem AEC Magazine erstellt wurde.

Autor/in

Tim Davies

Digital Engineering Manager

Tim Davies ist als Digital Engineering Manager bei BYLOR Joint Venture (JV) an der Errichtung des Atomkraftwerks Hinkley Point C beteiligt. (edfenergy.com/energy/nuclear-new-build-projects/hinkley-point-c)