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Entwurf der neuen Bauproduktenverordnung

Die EU erweitert die Bauproduktenverordnung – nicht nur zur Freude der Beteiligten

Otto Handle

Die Union macht ernst mit Umweltschutz, Nachhaltigkeit, Kreislaufwirtschaft und Abbau föderaler Auswüchse. Der Entwurf für die Neufassung der EU-Bauproduktenverordnung ist ein wesentlicher strategischer Bestandteil – höchst aufwendig und kostspielig für alle Beteiligten, aber ökologisch vermutlich sinnvoll. Warum es trotzdem eine gute Idee ist, sich die Frist zur Stellungnahme rot im Kalender zu markieren: 12. Juli 2022.

Fünf Jahre nach Inkrafttreten der Europäischen Bauproduktenverordnung wurde dieser 2016 in einem Bericht an die Kommission ein vernichtendes Urteil zuteil. Weder der Umfang neuer harmonisierter Normen (ganze zwölf) noch die – regional ziemlich unterschiedliche – Tätigkeit der Marktüberwachungsbehörden fanden Gefallen. Außerdem wurde beanstandet, dass nach wie vor nationale Bewertungsdokumente für Produktarten verlangt werden, welche eigentlich bereits harmonisiert waren.

Die Kommission schlägt deshalb eine neue, fünfmal so umfangreiche Fassung mit wesentlichen Erweiterungen von Umfang, Prüf- und Nachweispflichten, Ausweitung der Kontroll- und Sanktionstätigkeit und einem zentralen anonymen Beschwerdeportal vor.

Obwohl der größte Anteil der befragten Interessensgruppen dafür war, die Bauproduktenverordnung unverändert in Kraft zu lassen, hat die Kommission auf Basis einer Folgenabschätzung entschieden, die Bauproduktenverordnung komplett zu überarbeiten und die wesentlich strengeren Marktüberwachungsregeln der Verordnung 1020/2019 auch für den Bauproduktensektor in Anwendung zu bringen.

Zwischenzeitlich unternimmt die Union im Rahmen des EU-Green-Deals umfangreiche Bemühungen, die Produktion, Nutzung und Kreislauffähigkeit von Produkten zu verbessern. Im ersten Legislativpaket zur Kreislaufwirtschaft vom März 2022 enthalten sind neben Vorschlägen für nachhaltige Textilien und einer Ökodesign-Verordnung, welche die Nachhaltigkeitskriterien aller Produkte in den Vordergrund rückt, auch eine neue Normierungsstrategie und eben ein Vorschlag zur Überarbeitung der EU-Bauproduktenverordnung 305/2011 und der Marktüberwachungsverordnung 1020/2019.

Hiermit sollen nachzuweisende Leistungsmerkmale auf Nachhaltigkeits- und Sicherheitskriterien ausgeweitet und die umfangreichen Tätigkeiten und Befugnisse der Marktüberwachungsbehörden auch für den Baustoffsektor in Anwendung gebracht werden.

Die Verordnung zur Stärkung der Marktüberwachungsbehörden (1020/2019) erwies sich als wirkungsvoll, ihre Anwendung auf Bauprodukte auszudehnen erscheint der Kommission erfolgversprechend.

Die Erarbeitung des Inhaltes des Vorschlags für eine neue Bauproduktenverordnung und seiner Anhänge, Nebendokumente und Verweise ist ob des Detaillierungsgrads der beabsichtigten Regelungen (insgesamt ca. 300 Seiten im Vergleich zu 42 Seiten der aktuell gültigen Bauproduktenverordnung), diverser inhaltlicher Wiederholungen und auch der einen oder anderen inhaltlichen Inkonsistenz nicht unaufwendig.

Die Lektüre fördert aber viele durchaus interessante und folgenreiche Regulierungsansätze zu Tage, deren Beschluss nicht nur großes Potenzial für den Umwelt- und Verbraucherschutz besitzt, sondern auch eine deutliche Abkehr von föderalen Regelungen und umfangreiche Erweiterungen der Aufgaben und Auflagen für beteiligte Wirtschaftsakteure mit sich bringen wird.

Beschleunigung der Harmonisierung

Die EU-Normenstrategie schlägt diverse Maßnahmen zur Verbesserung der Zusammenarbeit der nationalen und europäischen Normierungsinstitutionen sowie die Schaffung einer zusätzlichen Exzellenzbehörde für die Abstimmung der Institutionen, eines zusätzlichen Berichtswesens an die Kommission sowie bessere Ausbildung und eventuell auch Bezahlung von Normensachverständigen vor, um die Normierungstätigkeit zu beschleunigen und den internationalen Führungsanspruch zurückzugewinnen, wodurch sich auch das europäische Wertegerüst wieder in den internationalen Normen wiederfinden soll.

Die Bauproduktenverordnung geht hier einen Schritt weiter und ermöglicht der Kommission direkten Einfluss auf die Harmonisierungsarbeit in der Normung, die Beauftragung von Bau-Normen und bei zu langsamer Arbeit auch deren Substitution durch europäische technische Bewertungsregeln.

Die Kommission erhält neue Befugnisse, um mittels Rechtsakten technische Spezifikationen und Produktanforderungen einzuführen, wenn das Normensystem die Normen nicht rasch genug liefert.

Erweiterung der „harmonisierten Zone“

Der umfangreiche Anhang zum Entwurf beinhaltet unter anderem 32 Produktbereiche für welche harmonisierte technische Spezifikationen geschaffen und von den Wirtschaftsakteuren eingefordert werden sollen. Ein zusätzlicher Produktbereich umfasst „sämtliche andere“ Produkte, die für Bauwerke eingesetzt werden können. Weiterhin sind auch alle Produkte umfasst, die grundsätzlich für Bauwerke eingesetzt werden könnten, auch wenn dies nicht ihr Haupteinsatzzweck ist. Das betrifft auch wiederverwendete Produkte, Produkte aus 3D-Druck und andere Produkte bis hin zu Fertigteilhäusern.

Erweiterung des Begriffes des „Wirtschaftsakteurs“

Hier sind nun weitgehend alle natürlichen oder juristischen Personen umfasst, die in der Wertschöpfungskette des bereitgestellten Produktes irgendeine Rolle spielen können – von der Grundstoffindustrie über Vorlieferanten, Produktionsdienstleister, Bevollmächtigten, Importeuren, Eigenmarkenanbietern, diversen Arten des stationären und Onlinevertriebes, Verkaufsplattformen bis hin zu Suchmaschinen werden reguliert.

Erweiterung des Umfanges beteiligter Behörden und ähnlicher Dienststellen

Die taxative Aufzählung von über 15 an den in der neuen Bauproduktenverordnung definierten Prozessen beteiligten Typen von Behörden und behördenähnlichen Dienststellen ist hier aus Platzgründen nicht möglich. Beachtenswert ist, dass die Kommission selbst trotz erheblich ausgeweiteter Einfluss- und Kontrollmöglichkeiten mit 21 zusätzlichen Vollzeitäquivalenten auszukommen beabsichtigt.

Nachdem bei unterschiedlichen Auffassungen über Konformität und Anforderungen in den Mitgliedsstaaten überwiegend die jeweils strengste Auffassung zur Anwendung kommen soll, sind auch tatsächlich alle Behörden in allen Mitgliedsstaaten potenziell für die Produkte zuständig. Hier kündigt sich erheblicher Abstimmungs- und Verwaltungsaufwand sowohl behörden- als auch unternehmensseitig an.

Erweiterung der zu erklärenden Leistungen und Prüfanforderungen

Es werden verschiedene Prüf- und Überwachungssysteme definiert, die mit einer Ausnahme unter Einbeziehung einer notifizierten Stelle als unabhängigem Dritten umzusetzen und durchaus höchst aufwendig sind. Die Entscheidung, welches der Systeme zu wählen ist, wird mittels risikobasierten Ansatzes in der harmonisierten technischen Spezifikation gefällt.

Bereits im Anhang zum Entwurf ist eine gegenüber den sieben wesentlichen Leistungen der alten BPVO erheblich erweiterte Liste von nachzuweisenden Leistungsbereichen enthalten. Die Kommission behält sich vor, diese Liste jederzeit um zusätzliche Leistungsnachweise zu erweitern.

Die Prüfung von Notifizierten Stellen in den Prüf- und Bewertungssystemen System 1+ bis System 3 gehen von einer Null-Toleranz bei Fehlern aus, wobei die zu prüfenden Produkte zu 50 Prozent zufällig und zu 50 Prozent aus einer Gruppe von Produkten mit besonders hoher Chance der Nichtkonformität zu wählen sind.

Verbot der Publikation von nicht erklärten Leistungsparametern

Leistungsmerkmale, die nicht in der Leistungserklärung erklärt und in der harmonisierten Spezifikation nicht enthalten sind, dürfen nicht mehr publiziert (und damit auch nicht in der Werbung verwendet) werden (Artikel 21 2.a).

Digital first

War in der alten BPVO noch ein delegierter Rechtsakt zur Bereitstellung der Leistungserklärungen auf Websites erforderlich, geht der neue Entwurf klar den digitalen Weg. Alle Produkte müssen einen Permalink auf eine Datenbank oder die eigene Website am Produkt, der Verpackung oder der Begleitdokumentation bereitstellen, unter welchem dauerhaft alle wesentlichen Informationen, insbesondere die vorgeschriebenen Leistungserklärungen und Konformitätserklärungen sowie die gesamte technische, Sicherheits- und Wartungsdokumentation verfügbar sind.

Beabsichtigt ist die Einführung einer zentralen Produktdatenbank der EU, deren Form aber noch nicht definiert ist. Sobald diese zur Verfügung steht, sind alle Wirtschaftsakteure verpflichtet, alle Produktdaten innerhalb von zwei Monaten in diese Datenbank einzuspielen oder aber selbst in erheblichem Detaillierungsgrad zehn Jahre rückwirkend vorzuhalten.

Hier sind auch Vorlieferanten, an der Produktion beteiligte Finanzdienstleister, deren Bankkonten und die Adressen der Geschäftsführer usw. rückwirkend bereitzustellen, selbstverständlich unter vollinhaltlicher Anwendung der europäischen Datenschutzgrundverordnung.

Online-Akteure, Marktplätze und Suchmaschinen sind zusätzlich zur Bereitstellung von Schnittstellen für die Marktüberwachungsbehörden verpflichtet, über die unter anderem unmittelbar ausgelesen werden kann, ob beanstandete Produkte noch im Markt verfügbar sind.

Berücksichtigung der EU-Randbereiche

Der Entwurf erkennt ausdrücklich an, dass für Lieferanten aus Staaten außerhalb der EU, die in Regionen am äußersten Rand der EU Produkte liefern wollen, die Einhaltung der Anforderungen dieser neuen Verordnung mit erheblichen Kosten und Belastungen verbunden wäre. Deshalb dürfen Mitgliedsstaaten am Rand der EU solchen Lieferanten die Lieferung erlauben, ohne ihnen die Anforderungen laut dieser Verordnung zu überbürden (Erwägungsgrund 17).

Datenaustausch zwischen Behörden, Wirtschaftsakteuren und Online-Fulfillmentpartnern

Der Entwurf sieht diverse Maßnahmen vor, um Nichtkonformitäten von Produkten oder auch Zulieferteilen, die in Produkten eingebaut sind, kurzfristig allen zuständigen Behörden sowie allen möglicherweise betroffenen Wirtschaftsakteuren zugänglich zu machen. Diese haben die Verpflichtung, auf die dadurch entstehende Vermutung einer Nichtkonformität auch in ihrem eigenen Warenprogramm zu reagieren und gegebenenfalls Korrekturmaßnahmen zu setzen oder die Produkte vom Markt zu nehmen.

Die in Artikel 23.5 enthaltene Veranlassung von Vertriebspartnern als nicht konform erkannter Produkte zur Einstellung der Geschäftstätigkeit bis zur Korrektur der Nichtkonformität des Produktes ist hoffentlich ein Übersetzungsfehler.

Erweiterung der Befugnisse der Kommission

An diversen Stellen des Entwurfes wurden Befugnisse für die Kommission verankert, auf so gut wie jede im Bereich der Bauprodukte relevante Regelung, Prüfvorschrift, Personalbesetzung, Strafhöhe usw. unmittelbar in Form von delegierten Rechtsakten Einfluss zu nehmen, wobei Sachverständige zu konsultieren sind, die von den Mitgliedsstaaten benannt werden. Diese Ermächtigung ist für fünf Jahre gültig und kann aufgrund eines Berichtes neun Monate vor Ablauf stillschweigend jeweils um weitere fünf Jahre verlängert werden.

Erweiterung von Ressourcen und Strafbestimmungen

Sowohl notifizierte Stellen als auch Marktüberwachungsbehörden und andere involvierte Dienststellen sollen personell, infrastrukturell und kompetenzmässig erheblich ausgebaut werden, jährliche Berichte über ihre Tätigkeit und Beanstandungen liefern und auch von der Kommission und nachgelagerten Dienststellen laufend geschult werden.  

Hierfür entstehen erhebliche Kosten, die zum Teil direkt von den geprüften Marktteilnehmern zu tragen sind.

Bereits in Artikel 49 der Verordnung 1020/2019 über den Ausbau der Marktüberwachung ist verankert, dass Zahlungen säumiger Wirtschaftsakteure zur Finanzierung des vorgesehenen erheblichen Ausbaues der Marktüberwachungsbehörden herangezogen werden dürfen.

Die Kommission behält sich auch vor, Mindeststrafen festzusetzen, die dem Grundsatz „wirksamer und abschreckender Sanktionen“ gerecht werden.

Anonymes Beschwerdeportal

Weiterhin wird ein eigenes anonymes Beschwerdeportal der EU geschaffen, wo jeder jeden bezüglich angeblicher Nichtkonformität melden kann. Inwiefern Missbrauch verhindert wird, ist nicht beschrieben (ähnlich wie die Whistleblower-Richtlinie, aber öffentlich, nicht firmenbezogen).

Einladung zur Stellungnahme

Viele Punkte des vorgelegten Entwurfes einer neuen Bauproduktenverordnung und der verwiesenen Dokumente laden also durchaus zu kritischer Betrachtung ein. Die Möglichkeit zur Stellungnahme an die Union steht noch bis 12.7.2022 offen.

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Autor/in

Otto Handle

Otto Handle

inndata Datentechnik GmbH

Baumeister Ing. Otto Handle, mba, gründete nach 13 Jahren intensiver Tätigkeit im ausführenden Bauwesen und der Bauaufsicht von industriellen Großprojekten im Jahr 1998 das Unternehmen inndata Datentechnik GmbH, das Datenbanken, Tools und Rechenzentrumsdienstleistungen für alle digitalen Prozesse entlang der Wertschöpfungskette im Bauwesen bereitstellt. Otto Handle ist Lead Partner der Forschungsgruppe freeBIM zur A 6241-2, Partner des europäischen Interreg Projektes ITAT1083 sensorBIM, Mitglied des Ö-Normen Ausschusses A 011 09 digitale Bauwerksdokumentation und arbeitet in der WG7 der CEN TE442 an der europäischen Normung mit. (inndata.at)