Christian Doleschal / Foto: Martin Lahousse
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"Digitalisierung im Bauwesen ist Schlüssel zur Modernisierung und Zukunftssicherung"

Interview mit Christian Doleschal, Mitglied des Europäischen Parlaments, EVP-Fraktion

Christian Doleschal ist seit 2019 Mitglied des Europäischen Parlaments und gehört der Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP) an. Wir sprachen mit ihm über die Überarbeitung der Bauprodukteverordnung (BauPVO), an der er als Berichterstatter und Chefverhandler für das Europäische Parlament maßgeblich beteiligt war.

Am 10. April 2024 hat das Europäische Parlament die Überarbeitung der Bauprodukteverordnung mit großer Mehrheit angenommen. Sie waren maßgeblich daran beteiligt. Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Änderungen?
Eine der wichtigsten Änderungen aus meiner Sicht ist, dass künftig alle Informationen zu Bauprodukten, einschließlich ihrer Umwelteigenschaften, in einer kombinierten Leistungs- und Konformitätserklärung zusammengefasst werden.

Ein Hauptziel der neuen Bauproduktenverordnung ist es zudem, den in den letzten Jahren ins Stocken geratenen Normungsprozess zu beschleunigen. Dies ist entscheidend, um sicherzustellen, dass die Normen den aktuellen technischen und rechtlichen Anforderungen entsprechen und die Industrie sie effektiv anwenden kann.

Wichtig war uns in den Verhandlungen auch, uns darauf zu einigen, dass die überarbeitete Bauprodukteverordnung insgesamt den bürokratischen Aufwand für Anwender und Praktiker verringert, indem z.B. Produktinformationen künftig über einen "Digitalen Bauproduktepass" bereitgestellt werden. So können diese direkt auf der Baustelle per Smartphone abgerufen werden, und die CE-Kennzeichnung muss nur noch das Wichtigste enthalten. Die bisherige Pflicht, Produktinformationen doppelt anzugeben, entfällt. Zudem sollen innovative Technologien wie 3D-Druck berücksichtigt und weiter gefördert werden.

Wie schaut der Zeitplan der Umsetzung der Verordnung aus?
Die neue Bauproduktenverordnung wurde im April 2024 vom Europäischen Parlament verabschiedet und muss auch noch einmal formell vom neu gewähltem Parlament im Oktober 2024 bestätigt werden. Der Zeitplan für ihre Umsetzung sieht vor, dass die Verordnung nach ihrer Veröffentlichung im EU-Amtsblatt, also voraussichtlich im Oktober oder November 2024 in Kraft tritt. Anschließend beginnt eine Übergangsphase, in der Unternehmen und Behörden die neuen Anforderungen schrittweise umsetzen müssen. Bis zur vollständigen Umsetzung wird es jedoch noch einige Jahre dauern, da verschiedene technische Details und Normen angepasst werden müssen, um die Verordnung vollständig in der Praxis anzuwenden.

Ein wesentliches Element der neugefassten Verordnung ist, weitere Nachhaltigkeitskriterien mit aufzunehmen. Welche sind das und wie wird das geregelt?
Die überarbeitete EU-Bauprodukteverordnung legt einen verstärkten Fokus auf Nachhaltigkeitskriterien, um den ökologischen Fußabdruck von Bauprodukten zu reduzieren. Zu den wesentlichen neu eingeführten Nachhaltigkeitskriterien gehören unter anderem Umweltindikatoren wie z. B. CO2-Emissionen, Wasserverbrauch und Energieeffizienz, welche schrittweise (teilweise) verpflichtend werden. Diese Indikatoren müssen im Rahmen des Produktpasses digital erfasst und den Anwendern zugänglich gemacht werden.

Auch fördert die überarbeitete Verordnung die Prinzipien der Kreislaufwirtschaft, indem sie Anforderungen an die Wiederverwendbarkeit, Recyclingfähigkeit und die Nutzung von recycelten Materialien in Bauprodukten stellt. Produkte, die diese Kriterien erfüllen, können leichter auf dem Markt zugelassen werden.

Eines der Ziele der überarbeiteten Bauprodukteverordnung ist die Einführung eines digitalen Produktpasses für Bauprodukte. 
Christian Doleschal

Ebenso wird mit der Verordnung die Einführung und Umsetzung des Digitalen Produktpasses angestrebt. Was kommt hier auf Unternehmen der Bauwirtschaft zu?
Eines der Ziele der überarbeiteten Bauprodukteverordnung ist die Einführung eines digitalen Produktpasses für Bauprodukte. Dieser soll eine zentrale und leicht zugängliche Dokumentation aller relevanten Informationen zu Bauprodukten ermöglichen. Dadurch können Architekten, Bauherren und Regulierungsbehörden besser informierte Entscheidungen treffen und die Herkunft sowie die Eigenschaften von Materialien einfacher nachvollziehen. Die Idee dahinter ist jedoch nicht neu. Bereits heute gibt es Initiativen und erste Ansätze für einen digitalen Produktpass für Bauprodukte. Ein Beispiel ist der "Building Material Passport" (Baustoffpass), der in verschiedenen europäischen Projekten wie dem "BAMB"-Projekt (Buildings as Material Banks) entwickelt wurde oder auch die Initiative "Smart CE Marking".

Diese Pässe enthalten umfassende Informationen über die Materialien, aus denen ein Bauprodukt besteht, sowie über deren Herkunft, Zusammensetzung, Recyclingfähigkeit und Lebenszyklusdaten.

Wie sehen Sie die Rolle der Bauprodukteverordnung bei der Förderung der Digitalisierung im Bauwesen?
Ich erachte die Förderung der Digitalisierung des Bauwesens für sehr wichtig. Kaum eine Branche ist so wenig digitalisiert, wie der Bausektor. Die Digitalisierung im Bauwesen ist Schlüssel zur Modernisierung und Zukunftssicherung, indem sie Effizienz, Nachhaltigkeit, Zusammenarbeit und Innovationskraft stärkt. Die überarbeitete Bauproduktenverordnung leistet dabei einen wichtigen Beitrag, indem sie neue Anforderungen schafft, die ohne digitale Lösungen kaum erfüllbar wären, und gleichzeitig Anreize für die Einführung und Nutzung moderner Technologien bietet. Dies treibt die Transformation der Bauwirtschaft in Richtung einer effizienteren, transparenteren und nachhaltigeren Branche voran​.

Die Digitalisierung im Bauwesen ist Schlüssel zur Modernisierung und Zukunftssicherung, indem sie Effizienz, Nachhaltigkeit, Zusammenarbeit und Innovationskraft stärkt. 
Christian Doleschal

Ein weiteres Ziel der Änderungen der Bauprodukteverordnung ist es, den bürokratischen Aufwands  durch den Einsatz digitaler Lösungen zu reduzieren. Gleichzeitig sollen Unternehmen Informationen über Bauprodukte in einer neu zu schaffenden EU-Baudatenbank bereitstellen. Wie wird verhindert, dass kleine und mittlere Unternehmen hier mit dem zusätzlichen Aufwand überfordert werden?
Die überarbeitete Bauprodukteverordnung (BauPVO) berücksichtigt die Herausforderungen, die kleine und mittlere Unternehmen (KMU) bei der Umsetzung neuer Anforderungen haben könnten. So war es allen Verhandlungspartner wichtig, dass für KMU vereinfachte Anforderungen gelten, sodass die bürokratischen und administrativen Lasten möglichst reduziert werden können, z. B. soll dies über reduzierte Dokumentationsanforderungen oder angepasste Verfahren geschehen. Zusätzlicher Aufwand soll möglichst verhindert werden.

Welche Auswirkungen hat die Bauprodukteverordnung auf die Integration und Anwendung von BIM bei Bauprojekten?
Die überarbeitete Bauprodukteverordnung fördert durch standardisierte und zentralisierte Produktdaten eine effizientere Integration von Bauprodukten in Building Information Modeling (BIM), wie zum Beispiel die nahtlose Einbindung der technischen Spezifikationen eines Fensterrahmens aus der EU-Baudatenbank in ein BIM-Modell eines Gebäudes.

Eine Frage noch zum Abschluss: Welche Aufgaben hat ein Berichterstatter bei der Überarbeitung einer EU-Verordnung?
Ein Berichterstatter im Europäischen Parlament ist dafür verantwortlich, die Position des Parlaments zu einer EU-Verordnung zu erarbeiten. Er erstellt einen ersten Bericht, führt Gespräche mit anderen Abgeordneten und verschiedensten Interessengruppen und verhandelt schließlich im sogenannten „Trilog“ mit dem Rat der Mitgliedstaaten und der Kommission, um einen Kompromiss zu finden. Er ist maßgeblich für die Steuerung des Prozesses zur Überarbeitung einer EU-Verordnung und die endgültige Formulierung zuständig.

Herr Doleschal, herzlichen Dank für das Interview.

Zur Person

Christian Doleschal ist seit 2019 Mitglied des Europäischen Parlaments und gehört der Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP) an. Vor seinem Einzug ins Europäische Parlament war er als Syndikusanwalt in einer Bauunternehmung tätig. Der Oberpfälzer CSU-Abgeordnete wurde bei der jüngsten Europawahl erneut ins Europäische Parlament gewählt und ist zudem erster Vize-Vorsitzende des Binnenmarktausschusses.
Hier geht's zu Christian Doleschals Internetseite.