Blick in das InformationsmanagementsystemHOCHTIEF ViCon/HOCHTIEF PPP Solutions
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Digitaler Zwilling zum Betrieb von Autobahnen

Das Projekt "Digitaler Zwilling zum Betrieb von Autobahnen", an dem auch unser buildingSMART Deutschland-Mitglied HOCHTIEF ViCon maßgeblich beteiligt ist, wurde bereits mehrfach ausgezeichnet – zuletzt mit dem openBIM-Award 2023 durch buildingSMART International. Hier stellen wir Ihnen das Projekt im Detail vor.

Ende 2016 erhielt die Bietergemeinschaft ViA6West den Zuschlag für die Finanzierung, die Planung sowie den Ausbau, den Betrieb und die Erhaltung eines Teilabschnitts der Bundesautobahn A6 im Rahmen einer Öffentlich-Privaten Partnerschaft (ÖPP). Um hierbei alle Beteiligten bestmöglich zu integrieren und das Projekt erfolgreich zu bearbeiten, wurde direkt zu Projektbeginn ein Informationsmanagementsystem als digitaler Zwilling implementiert, in dem alle relevanten Projektprozesse abgebildet werden.

Die Bietergemeinschaft ViA6West setzt sich aus Hochtief PPP Solutions, der Johann Bunte Bauunternehmung und dem niederländischen Fond DIF zusammen. Bei dem Teilabschnitt handelt es sich um die Strecke zwischen der Anschlussstelle Wiesloch/Rauenberg und dem Weinsberger Kreuz in Baden-Württemberg. Der projektierte Autobahnabschnitt beläuft sich auf 47 Kilometer unterteilt nach Bau- und Erhaltungsabschnitten. Neben dem durchgehenden Ausbau der Autobahn der A6 auf sechs Fahrstreifen ist der Neubau der 1,3 Kilometer langen Neckartalbrücke (Abb.1) ein besonderer Projektschwerpunkt.

Neckartalübergang

Abbildung 1 Am 13. Januar 2022 wurde Technikgeschichte geschrieben: Der 1,3 Kilometer lange Neckartalübergang wurde um 21,74 Meter verschoben. 

Bildcredit: ViA6West GmbH & Co KG 

Der Betriebsdienst stellt die dauerhafte, gefahrlose Nutzbarkeit des Autobahnabschnitts sicher und ist für die Verkehrssicherheit verantwortlich. Seine Aufgaben umfassen neben dem Betrieb der Rast- und WC-Anlagen ebenso Sofortmaßnahmen bei Unfällen und die Kontrolle der Bauwerke, wie Brücken, Unterführungen oder Lärmschutzwände. Zur täglichen Arbeit des Betriebsdienstes gehören außerdem die Grünpflege, Wartung und Instandhaltung der Straßenausstattung, die Reinigung, der Winterdienst, die Streckenkontrolle sowie die Absicherung von Gefahrenstellen.

Die Vernetzung von Wissen, Plänen und Ereignissen in digitaler Form war zu Beginn des Projektes oft nicht gegeben. Daher wurden Prozesse aufgesetzt, die dann anschließend in ein Informationsmanagementsystem überführt werden konnten.

Das Informationsmanagementsystem

Hochtief PPP Solutions hat zusammen mit Hochtief ViCon ein PPP-Information Management System, kurz P3IM System, entwickelt. „Das P3IM System ist der digitale Zwilling unseres Verkehrsinfrastrukturprojektes, an dem wir sämtliche Informationen über den gesamten Lebenszyklus, von der Planung bis zum Betrieb, bündeln,“ erläutert Dr. Daniela Schäfer, Leiterin Competence Area BIM bei Hochtief PPP Solutions. „Wir arbeiten nachhaltig und transparent in digitalen Prozessen mit unseren Partnern am digitalen Zwilling zusammen. Das nutzen wir, um unsere Maßnahmen zielgerichtet und effizient zu planen, umzusetzen und zu managen.“

Für die Entwicklung des digitalen Zwillings wurden folgende Anforderungen formuliert:

  • Projektübergreifende Organisatorischen Information Requirements (OIR), die für Multi-Projektanalysen wichtig sind, dann
  • Projektbezogene Asset Information Requirements (AIR) für die enge Abstimmung mit den Projekten sowie
  • Employers Information Requirements (EIR), die bedeutsam in der Zusammenarbeit mit anderen Leistungserbringern sind.

 Außerdem werden an den digitalen Zwilling aus Sicht des Betriebs noch weitere, besondere Anforderungen an das Modell gestellt: Es braucht ein Modell des Autobahnprojekts mit allen zugehörigen Objekten für Auswertungen am Gesamtprojekt. Ebenso braucht es die Modellierung der Autobahn mit allen Fahrstreifen in einem engen Raster, damit mit den gewählten Maßnahmen der Verkehrsraum so wenig wie möglich eingeschränkt wird. Drittens muss die Umsetzung inhaltlicher Vorgaben an die Projektdatenstruktur für eine hohe Durchgängigkeit gewährleistet sein – beginnend mit der Datenaufnahme vor Ort auf dem Projekt bis hin zum digitalen Zwilling.

Wichtige Anwendungsfälle sind und waren die Zustandserfassung und das hierauf in abgestimmten digitalen Prozessen nachfolgende Mängelmanagement, betriebliche Kontrollprüfungen jeglicher Art sowie Bewertungen nach Vertrag und Regelwerken und viele mehr. „In all diesen Anwendungsfällen werden mit selbstentwickelten Apps Daten erzeugt und digitale Prozesse abgebildet“, so Dr. Daniela Schäfer.

Fortlaufend neue Daten 

Infolge der vielseitigen Aufgaben des Betriebsdienstes werden fortlaufend neue Daten in den jeweiligen Anwendungsfällen erzeugt. „Wir stellen sicher, dass diese Daten optimal genutzt werden können,“ erklärt auch Ralf Gartmann, Information Manager bei HOCHTIEF ViCon. „Die vorab definierte Projektdatenstruktur ermöglicht es, dass Daten strukturiert und attributiert aufgenommen werden. Dabei werden die Anforderungen der einzelnen Anwendungsfälle berücksichtigt, aber auch die Anforderungen an die übergeordnete Auswertung der Daten.“ Somit werde sichergestellt, dass nur Daten erzeugt werden, die dieser Struktur entsprechen.

Fabienne Kunkel, Data Scientist bei Hochtief ViCon, fügt an, dass zur Entwicklung des Informationsmanagementsystems das 3D-Modell mit den relevanten Projektdaten der Anwendungsfälle verknüpft wurde. Sie sagt: „Alle Daten werden im Hintergrund mithilfe vordefinierter IDM-Prozesse in einer Datenbank zusammengeführt. Dadurch ist es uns möglich, für das Projekt Analysen und Auswertungen für das Standard-Berichtswesen bereitzustellen.“

IDM – Information Delivery Manual
IDM ist die Abkürzung für Information Delivery Manual. Dieses Manual regelt zwischen allen an einem Projekt Beteiligten, welche und wann welche Informationen zu übermitteln sind, um effizientes Arbeiten zu ermöglichen.
Weitere Informationen zum IDM gibt es hier.

Das 3D-Building-Information-System besteht somit aus einer 3D-Modellsicht und einer damit verknüpften Datensicht – im Fall dieses Verkehrsinfrastrukturprojekts: Das 3D-Modell beinhaltet das Gesamtprojekt als durchgängiges Modell mit circa 50 Kilometern Strecke und 70 Brückenbauwerken.

Das System wurde zudem durch eine Business Intelligence-Komponente ergänzt. Fabienne Kunkel erläutert: „Für jeden Anwendungsfall haben wir gemeinsam mit dem Projekt Key Performance Indicators (KPIs) definiert und Dashboards entwickelt. Durch die Projektdatenstruktur werden Modellkomponenten mit den Datensätzen aller Projektphasen verknüpft. Somit ist eine anwendungsfallübergreifende Auswertung möglich.“ Beispielsweise können relevante Daten eines bestimmten Kilometers gefiltert werden und diese Auswahl dann anschließend an das 3D-Modell übertragen werden.

Die Integration der Daten in den digitalen Zwilling erfolgt auf Grundlage des entwickelten Datenmodells, das Daten aus Planung und Bau, wie zum Beispiel den Terminplan oder das 3D-Planungsmodell, enthält. Doch der Großteil der Daten kommt aus der Betriebs- und Instandhaltungsphase – von den Bauwerken, Unfalldaten oder anderen Betriebsdaten. Ralf Gartmann unterstreicht: „Der digitale Zwilling ist somit unsere single source of truth und bildet die Grundlage für die Implementierung der unterschiedlichen Anwendungsfälle.“

Weiter erklärt Ralf Gartmann: „Das 3D-Planungsmodul wurde mit Hilfe des IFC-Standards in unser System integriert. In dem IFC-Modell sind nur die Bereiche und Informationen enthalten, die vorab in der Model View Definition (MVD) definiert wurden. Wir wollen nicht alle Informationen in unserem Zwilling abbilden, sondern nur die Information, die wir benötigen.“

IFC und MVD

Das buildingSMART Datenmodell, auch bekannt unter der Bezeichnung Industry Foundation Classes (IFC), stellt ein allgemeines Datenschema dar, das einen Austausch von Informationen zwischen verschiedenen proprietären Software-Anwendungen ermöglicht. Dieses Datenschema umfasst Informationen aller am Bauprojekt mitwirkender Disziplinen über dessen gesamten Lebenszyklus.
Nähere Informationen zu IFC gibt’s hier.

Die Modell-Ansichtsdefinitionen (MVDs) definieren die Teilmengen des IFC-Datenmodells, die notwendig sind, um die spezifischen Datenaustausch-Anforderungen im Bauwesen während eines Bauvorhabens zu unterstützten. Die Modell-Ansichtsdefinition stellt eine Anleitung für alle IFC-Ausdrücke (Klassen, Attribute, Beziehungen, Eigenschaftssätze, Mengendefinitionen, etc.) zur Verfügung, die in einer bestimmten Anwendungsbereich verwendet werden und vorhanden sein müssen. Sie beschreibt auch das Pflichtenheft für die Umsetzung der IFC-Schnittstelle in einer bestimmten Software.
Weitere Informationen zu MVD gibt es hier.

Für jeden Anwendungsfall wurden Prozesshandbücher mit Hilfe des IDM-Standards entwickelt und der Informationsaustausch zwischen den Beteiligten dargestellt. Außerdem wurden für jeden Informationsaustausch Austauschanforderungen definiert, die angeben, wer Informationen zu welchem Zweck anfordert, wann und welche Informationen ausgetauscht werden, wer die Informationen erhält und wie sie geliefert und empfangen werden sollen. Ralf Gartmann ergänzt: „Diesem Prinzip sind wir bei der Integration aller Daten und Anwendungsfälle gefolgt und haben es geschafft, vorhandene Datensilos aufzulösen.“

Der Anwendungsfall Unfallmanagement 

Ein wichtiger Anwendungsfall in dem Projekt ist das Unfallmanagement. Dafür wurde von HOCHTIEF PPP Solutions eine App entwickelt, mit der Unfälle direkt vor Ort aufgenommen werden – inklusive aller relevanten Informationen, wie zum Beispiel den Wetter- und Fahrbahnverhältnissen.

Anna Andreev, Projektmanagerin Competence Area BIM Hochtief PPP Solutions, erklärt:Wenn es geboten ist, werden alle Projektbeteiligte unverzügliche über einen Unfall informiert. Den digitalen Prozess einer Unfallverfolgung schließt die Erzeugung einer Unfallschadensdokumentation und Unfallabrechnungen in Form eines PDF-Dokumentes ab.“ Im Anschluss werden alle gesammelten Daten auf dem SharePoint der Projektgesellschafter gesammelt und mit dem digitalen Zwilling verknüpft.

Am digitalen Zwilling werden die Informationen zu den Unfällen visualisiert und ausgewertet. Der digitale Zwilling unterstützt zudem bei der Umrechnung von GPS-Koordinaten im Rahmen der Datenaufnahme vor Ort auf Betriebskilometer. Dr. Daniela Schäfer erläutert: „Über den Betriebskilometer kann ein Unfall am Modell farbig hervorgehoben werden, um dann im Kontext des Streckenverlaufs angesehen zu werden. Anhand von Streckenbändern können potenzielle Unfallschwerpunkte identifiziert oder auch ausgeschlossen werden.“

Mobile Zustandserfassung für Beobachtungen unter DIN 1076

Bei der Zustandserfassung wird der Zustand des Bauwerks vor Ort mit Hilfe von mobilen Formularen erfasst. Auch hier gilt: Die Integration der Daten in den digitalen Zwilling erfolgt auf Grundlage der vorab definierten Prozesse. Ralf Gartmann erläutert: „Die Ergebnisse stehen dem Projekt somit unmittelbar für die Bewertung des Bauwerks zur Verfügung. In Kombination mit den Daten aus SIB-Bauwerken lässt sich somit das Bauwerk vollumfänglich bewerten.“ So können Maßnahmen zielgerichtet geplant und Sperrzeiten auf der Autobahn reduziert werden.

Zustandserfassung und –bewertung (ZEB) von Bundesfernstraßen

Die Daten der Zustandserfassungsbefahrung (ZEB) sind eine wichtige Grundlage für die Planung von Erhaltungsmaßnahmen der Autobahn, wobei die Messwerte die Längs- und Querebenheit, die Griffigkeit und die Substanz sind. Fabienne Kunkel erklärt: „Die Bewertungen der Messungen erfolgt nach festgelegten Schwellen- und Warnwerten. Bei der Überschreitung eines Warnwertes färbt sich das Streckenband in den betroffenen Fahrabschnitten gelb. Eine Schwellenwertüberschreitung würde eine Rotfärbung hervorrufen.“ Fabienne Kunkel fügt aber an, dass nicht alle Überschreitungen zwangsläufig zu einer Fehlstelle führen, die auf der Strecke behoben werden muss. Die Visualisierung der ZEB-Daten am digitalen Zwilling unterstütze bei der Bewertung der Messergebnisse sowie bei der Identifikation erforderlicher Erhaltungsmaßnahmen. Die direkte Verknüpfung zu den Dokumenten der Messungen aus dem Informationsmanagementsystem sei ein zusätzlicher Mehrwert für die Projektbeteiligten.

Nachhaltiger Kulturwandel durch digitalen Zwilling 

„Wir sehen die Zusammenarbeit am digitalen Zwilling als Teil eines nachhaltigen Kulturwandels. Informationen sind leichter zugänglich und Querbezüge können transparent hergestellt werden. Das schafft Vertrauen“, sagt Dr. Daniela Schäfer von der Competence Area BIM bei Hochtief PPP Solutions. Die IDM-Standards würden dabei helfen, Silos strukturiert aufzulösen und einen Mehrwert im Austausch und der Integration von Daten schaffen. So zieht Daniela Schäfer das Fazit: „Das hat unsere Zusammenarbeit nachhaltig verbessert.“

Preisgekröntes Infrastrukturprojekt

Eine Verbesserung, die sich auch in BIM-Wettbewerben widerspiegelt. So wurde das Projekt 2022 von buildingSMART Deutschland 2022 im BIM Champions Wettbewerb in der Kategorie „Betrieb und Unterhalt“ zum Sieger gekürt. Und auch buildingSMART International hob das Projekt in der Kategorie „Asset Management“ 2023 auf den Platz 1 bei den openBIM Awards.

Projektdaten

Vertragsbeginn: 1. Januar 2017
Beginn Bauphase: 1. Januar 2017
Betriebsbeginn: 1. Mai 2017
Vertragsende: 31. Dezember 2046
Länge der Projektstrecke: 47,2 Kilometer
Länge der Ausbaustrecke: 25,4 Kilometer
Länge für OPA (lärmmindernden Asphalt): 19 Kilometer
Fahrzeuge pro Tag: 100.000
Strecke für den Winterdienst: 48,9 Kilometer
Brücken: 1, Neckartalbrücke
Streckenlänge für zusätzliche Lärmschutzwände: 13 Kilometer
Autobahnmeistereien: 1
Erweiterungen der Rastanlagen: 4
Brückenbauwerke auf der gesamten Strecke: 66
Sonstige Bauwerke auf der gesamten Strecke: 125

Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner

Sie haben Fragen zu dem Projekt und/oder interessieren sich für weitere Hintergrundinformationen, dann setzen Sie sich gerne mit 

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