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Digital Twin für nachhaltiges Management von Autobahninfrastruktur

Wie vernetzte Daten und die BIM-GIS-Integration die Zukunft des Asset Managements prägen. Von Dr. Daniela Schäfer, HOCHTIEF PPP Solutions

Die Digitalisierung der Infrastruktur steht vor einem Paradigmenwechsel: Während bisher isolierte Datensilos die Regel waren, erfordert das heute geforderte nachhaltige Management von Autobahnen vernetzte und konsistente Daten über den gesamten Lebenszyklus. Der Digital Twin bietet hier eine innovative Lösung, die objektorientiertes Building Information Modeling (BIM) mit georeferenzierten Geoinformationssystemen (GIS) kombiniert und damit eine neue Dimension des Asset Managements eröffnet.

Das Praxisbeispiel: A6 Heilbronn als PPP-Modellprojekt

Am Beispiel des Autobahnabschnitts A6 bei Heilbronn zeigt sich die Komplexität moderner Infrastrukturprojekte. Das Public-Private-Partnership-Projekt mit einer Laufzeit von 30 Jahren (2017-2047) umfasst einen 50 Kilometer langen Autobahnabschnitt mit sieben Anschlussstellen und 70 Brückenbauwerken. Besonders bemerkenswert: Der 1,3 Kilometer lange Neckartalübergang wurde in seitlicher Lage errichtet und anschließend quer verschoben.

Dabei verdeutlicht die Projektstruktur bereits die Herausforderungen: 50% der Infrastruktur wurden in einer sechsjährigen Planungs- und Bauphase neu errichtet, während die anderen 50% als Bestand übernommen wurden. Der Verfügbarkeitsmechanismus des Vertrags motiviert dabei zu einer optimalen Abstimmung aller Maßnahmen, da Fahrstreifensperrungen direkte Auswirkungen auf das Entgelt haben.

Herausforderungen der digitalen Transformation

Werden nun in ein Projekt digitale Prozesse und Arbeitsweisen eingeführt, unterliegt dieses Vorgehen einem nachhaltigen Kulturwandel. Auf drei Aspekte soll hier detaillierter eingegangen werden.

 

Es gilt, verschiedene Projektdatenstrukturen zu verknüpfen.

Bildcredit: HOCHTIEF PPP Solutions

1. Verzahnung von Use Cases
Die digitale Transformation erfordert eine intelligente Verknüpfung verschiedener Anwendungsfälle. Ein Beispiel verdeutlicht dies: Die Zustandserfassung vor Ort generiert Daten, deren Attribute automatisch über nachfolgende Prozesse entscheiden – sei es das Mängelmanagement, das Gewährleistungsmanagement oder das Erhaltungsmanagement.

Das Erhaltungsmanagement wiederum bezieht Informationen aus verschiedenen vorgelagerten Use Cases: der Zustandserfassung, Inspektionen und Monitoring (einschließlich ZEB-Befahrungen (Zustandserfassung und -bewertung) zur Fahrbahnqualitätsmessung) sowie der Ausführungsplanung und Baubestandsdokumentation. Alle Maßnahmen fließen schließlich in die Ökobilanzierung ein und hinterlassen ihren CO2-Fußabdruck.

Die Use Case-Landschaft folgt dabei dem DRY-Prinzip der Softwareentwicklung: „Don't repeat yourself!“ Zwischen den Use Cases bestehen stets 1:n-Beziehungen der Datenverknüpfung.

2. Vertrauen in konsistente Daten
Die digitale Transformation von Kollaborationsprozessen erfordert Vertrauen in die Datenqualität. Konsistente Daten bilden somit die unverzichtbare Grundlage für alle Auswertungen und Entscheidungen.

3. Heterogene Datenlandschaften
Die Verknüpfung verschiedener „Datentöpfe“ bringt spezifische Herausforderungen mit sich:

  • große Datenmengen
  • verschiedene Projektstrukturen
  • unterschiedliche Statusangaben
  • diverse Datenquellen

Projektphasenübergreifende Datenstrukturen

Eine zentrale Herausforderung liegt in der Verknüpfung verschiedener Projektdatenstrukturen. Entgegen der häufigen Annahme, dass sich der Detaillierungsgrad von der Ausführungs- zur Betriebsphase verringert, zeigt die Praxis ein differenzierteres Bild.

Beispiel Fahrbahnmanagement:

  • Planung: Gesamter Fahrbahnquerschnitt beider Richtungsfahrbahnen unter Berücksichtigung von Querneigung und Entwässerung
  • Bauausführung: Fahrbahnquerschnitt einer Fahrtrichtung in kilometerlangen Bauabschnitten
  • Betrieb und Erhaltung: Fahrstreifenweise Maßnahmen in kleineren, bedarfsorientierten Abschnitten

Jede Projektphase hat ihre berechtigten Anforderungen an die Datenstruktur, alle liefern jedoch Input für übergeordnete Analysen wie die Ökobilanzierung.

Weitere Herausforderungen entstehen durch die Einbindung von Daten aus Legacy-Systemen wie SIB-Bauwerke (Bauwerksdaten), die zu einer Zeit entwickelt wurden, als BIM und heutige Anforderungen noch unbekannt waren. Hier kann künftig Künstliche Intelligenz zur Vernetzung unterschiedlicher Strukturen einen wichtigen Beitrag leisten.

Digital Twin als Lösungsansatz

Der Digital Twin kombiniert zwei sich ergänzende Methoden. Am Beispiel des Autobahnabschnitts der A6 bei Heilbronn folgende:

1. Objektorientierter BIM-Ansatz

  • Software: 3D-BIS von HOCHTIEF ViCon
  • Entwicklung: zehnjährige partnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen HOCHTIEF PPP Solutions und HOCHTIEF ViCon
  • Funktionalität: Über eine Projektdatenstruktur (PDS) werden BIM-Anwendungsfälle mit dem BIM-Modell und untereinander verknüpft
  • Ergebnis: Datenauswertungen über Dashboards, Streckenbänder und Visualisierung am BIM-Modell

2. Georeferenzierter GIS-Ansatz

  • Software: ArcGIS von Esri
  • Integration: BIM-Modell in GIS-Kontext
  • Visualisierung: Analyse von Messdaten entlang der Strecke im Kontext der Projektumgebung unter Einbeziehung weiterer Geoinformationsquellen wie Biotope

Digitales Projektmanagement am Digital Twin

Das digitale Projektmanagement erfordert eine enge Verzahnung verschiedener IT-Lösungen: 3D-BIS und ArcGIS für Analyse und Visualisierung, Microsoft SharePoint und PowerPlatform-Komponenten für Datenaufnahme, digitale Prozesse und Datenspeicherung.

 

Digitales Projektmanagement am Digital Twin

Bildcredit: HOCHTIEF PPP Solution

Prozessablauf Erhaltungsmanagement:

  1. Bedarfsanalyse: Auswertung von ZEB-Messdaten, Fotos und Berichten am BIM-Modell und im GIS
  2. Soll-Ist-Abgleich: Einordnung in zeitliche Erhaltungszyklen, Mengenabschätzung und CO2-Prognose
  3. Maßnahmenplanung: Berücksichtigung von Planungs- und Baudaten
  4. Projektmanagement: AHO-konforme Prozessschritte in digitaler App-Umgebung
  5. Dokumentation: Schließung aller verknüpften Datensätze nach Maßnahmenabschluss
  6. Restlebensdauerabschätzung: Unterstützung der Erhaltungsplanung und Risikobewertung

Praxisbeispiel: Analyse des Erhaltungsbedarfs

Die Analyse erfolgt durch Überlagerung verschiedener Datenquellen:

  • ZEB-Befahrungsdaten
  • Markierungsprüfungen
  • Mobile Unfalldaten
  • Tägliche Streckenkontrollen

GIS-Analyse: Im georeferenzierten Kontext werden überlagerte Informationen mit Kilometerbezug auf der Streckenachse analysiert. Dashboard-Analysen ergänzen die Kartenansicht.

BIM-Analyse: Über die Projektdatenstruktur werden Informationen verschiedener Use Cases verknüpft und können parallel betrachtet werden. Die Kategorisierung nach Projektphasen unterstützt das Informationsmanagement.

Beide Systeme ermöglichen die sinnvolle Verknüpfung mit Fotos und weiteren Dokumenten.

Nachhaltigkeitsaspekte und CO2-Bilanzierung

Ein wesentlicher Vorteil des Digital Twin liegt in der Integration von Nachhaltigkeitskennzahlen. So lässt sich jede Maßnahme hinsichtlich ihres CO2-Fußabdrucks bewerten:

  • Vergleich aktueller Qualität mit geplanten Maßnahmen
  • Restlebensdauerabschätzung
  • Mengenvergleich zwischen avisierten und Soll-Maßnahmen
  • Quantifizierung der CO2-Äquivalente

Diese Daten fließen in eine vorwärtsgerichtete Nachhaltigkeitsbetrachtung und Ökobilanzierung ein.

Fazit und Ausblick

Der Digital Twin erweist sich als geeignete Methode für ein effektives Wissensmanagement in der Autobahninfrastruktur. Die Entwicklung fundierter Entscheidungsgrundlagen erfordert jedoch mehr als nur Technologie: Kriterien, Prozess-Know-how und die intelligente Verzahnung technischer Lösungen sind ebenso wichtig wie die Bereitschaft zum Change Management und zu einem nachhaltigen Kulturwandel.

Die Kombination von BIM und GIS im Digital Twin ermöglicht es, viele Kennzahlen in eine zukunftsorientierte Nachhaltigkeitsbetrachtung zu integrieren. Dies schafft die Basis für ein Asset Management, das nicht nur technisch und wirtschaftlich, sondern auch ökologisch optimiert ist.

Die Erfahrungen aus dem A6-Projekt zeigen: Die digitale Transformation der Infrastruktur ist nicht nur technisch machbar, sondern bereits heute wirtschaftlich sinnvoll. Der Digital Twin wird damit zum Schlüsselinstrument für nachhaltiges Infrastrukturmanagement der Zukunft.