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BIM und Kreislaufwirtschaft

Durch Digitalisierung zu mehr Nachhaltigkeit

Ines Mansfeld , Andreas Steyer

Dass die Bauwirtschaft ein Emissions- und Abfallproblem hat, wird nicht mehr bestritten. Die Kreislaufwirtschaft ist das Ziel – den Weg dorthin zeigt das Buch „Nachhaltige Stoffkreisläufe durch BIM“.

Der Bau- und Gebäudesektor ist weltweit für 38 Prozent der CO2-Emissionen (1) verantwortlich. Bau- und Abbruchabfälle machten im Jahr 2019 55 Prozent des Gesamtabfallaufkommens (2) in Deutschland aus. Angesichts dieser Größenordnungen ist klar: Ohne Änderungen an der Art des Bauens lassen sich eine deutliche Reduzierung der Emissionen und des Rohstoffverbrauchs – und damit ein effektiver Kampf gegen den Klimawandel – nicht bewerkstelligen.

Ein entscheidender Schlüssel ist dabei die Entwicklung der Bauwirtschaft zu einer Kreislaufwirtschaft. Durch die konsequente Wiederverwendung der Materialien aus abgerissenen oder umgebauten Bauwerken lässt sich die Energie für die Produktion neuer Materialien sowie die Entsorgung alter Materialien einsparen und eine deutliche Reduzierung der Abfallmengen erreichen. Gleichzeitig kann durch die damit einhergehende Erhöhung der Rohstoffversorgungssicherheit ein weiteres großes Problem des Baugewerbes entschärft werden.

BIM als Schlüssel zur Kreislaufwirtschaft im Bauwesen 

Für diese Implementierung von intelligenten und nachhaltigen Stoffkreisläufen müssen zwei wesentliche Voraussetzungen erfüllt sein. Ein Bauwerk muss von vornherein durch alle Lebenszyklusphasen – auch nach dem Betrieb – durchdacht sein. Und alle wichtigen Informationen zu den verwendeten Baustoffen müssen vernetzt und für alle Beteiligten zugänglich vorliegen. Dafür bietet sich eine Methode an, die sich wie keine andere in einem Bauprojekt durch alle Phasen anwenden lässt und deren wesentlicher Kern darin besteht, alle wichtigen Daten zu verknüpfen und zentral bereitzustellen: Building Information Modeling (BIM).

Denn durch die Vernetzung aller Informationen der einzelnen Phasen mit dem BIM-Modell kann stets auf alle relevanten Daten eines Bauprojektes zugegriffen und sogar deren Verortung im Modell unmittelbar abgerufen werden. So stehen bei einem Abbruch eines Bauwerks Informationen unkompliziert zur Verfügung, die vor vielen Jahren bei der Planung dieses Projektes entstanden sind.

Um nun einen effizienten Stoffkreislauf zu ermöglichen, müssen aber in jeder Phase des Lebenszyklus eines Bauprojektes unterschiedliche Aufgaben ausgeführt werden. Diese reichen von der Dokumentation und Datenermittlung bis zur Beschaffung, dem Einbau und der Freisetzung von Materialien. Durch die Anwendung von Building Information Modeling können diese Aufgaben aber weitaus effektiver durchgeführt werden. Essenziell dabei ist, dass alle für den Stoffkreislauf relevanten Daten mit dem BIM-Modell verknüpft werden.

BIM und Stoffkreisläufe in allen Lebenszyklusphasen

Entwicklungsphase

In der Entwicklungsphase eines Bauprojekts spielen konkrete Baustoffe zwar noch keine Rolle, es werden aber die grundlegenden Rahmenbedingungen des Projekts festgelegt. Beispielsweise, ob ein Hochbauprojekt als Wohnbebauung oder Gewerbebau ausgeführt wird oder ob es sich um eine einfache oder um eine Luxus-Bebauung handelt. Außerdem gibt es schon Zahlen zur Größe des Bauprojekts und zum angestrebten Projektzeitraum.

Aus diesen Angaben kann ein Profil des Bauprojektes erstellt werden, über das sich bei guter Datenlage bereits bewerten lässt, in welchem Maß wiederverwertbare Baustoffe bei diesem Projekt zum Einsatz kommen können.

Ebenfalls wichtig ist in dieser Phase die Vergabe der Planung an Akteure mit Erfahrung auf dem Gebiet kreislaufgerechter Bauprozesse oder zumindest mit der Bereitschaft, diese anzuwenden.

Datenfluss mit dem BIM-Modell

Ein geometrisches BIM-Modell liegt in dieser Phase nur in groben Ansätzen vor. Allerdings werden bereits grundlegende Projektkenndaten wie Projektgröße, bebaute Fläche o. ä. in das Modell übertragen, die dann für die Erstellung eines Profils zur Bewertung des Einsatzes von wiederverwerteten Baustoffen abgerufen werden können.

Planungsphase

Die Planungsphase eines Bauprojekts ist von zentraler Bedeutung für die Ermöglichung von Stoffkreisläufen. Zuerst wird hier über die Art der verwendeten Bauteile entschieden; später dann in der Ausschreibung über die konkreten Qualitäten der eingesetzten Baustoffe. Dabei muss ein entscheidendes Kriterium sein, wie gut sich diese Baustoffe wiederverwenden lassen. Dieses Kriterium kann auch Einfluss auf die Konstruktion haben, wenn man sich deswegen z. B. für ein mehrschichtiges Wandsystem mit einer einfacher zu ersetzenden Dämmung entscheidet.

Während des Prozesses der Kostenkalkulation muss dann ermittelt werden, welche der benötigten Baustoffe sich aus durch Umbau oder Abbruch freigesetzten Beständen beschaffen lassen, um den kostensenkenden Effekt der Wiederverwendung von Bauprodukten in der Angebotserstellung zu berücksichtigen. Es müssen also bereits in der Planungsphase Daten aus Bestandsbauwerken, bei denen ein Umbau oder Abbruch bevorsteht, verwendet werden. Bei der Vergabe der Bauleistungen muss schließlich eine herausgehobene Rolle spielen, welche Angebote vornehmlich die Verwendung wiederverwerteter Baustoffe vorsehen.

Entscheidend ist, dass in der Planungsphase die Rolle des Bauprojekts im Stoffkreislauf bidirektional gedacht wird. Zum einen muss so geplant werden, dass die eingesetzten Bauprodukte zu einem möglichst hohen Maße aus bereits in anderen Projekten verwendeten Materialien bestehen und möglichst wenige neu produziert werden müssen. Zum anderen muss bereits eingeplant werden, dass die verwendeten Baustoffe später einmal in zukünftigen Projekten erneut eingesetzt werden. Dazu ist es unbedingt notwendig, die genutzten Bauprodukte genau zu dokumentieren.

Datenfluss mit dem BIM-Modell

In dieser Phase wird die 3D-Geometrie des BIM-Modells erstellt und schrittweise erweitert und verfeinert. Ebenso werden schrittweise immer detailliertere Informationen zu den verwendeten Bauteilen des Modells ergänzt, bis schließlich hin zu konkreten Produktbeschreibungen oder -bezeichnungen. Durch Verknüpfung dieser Informationen mit Umweltdatenbanken können den Elementen des BIM-Modells Informationen zur Umweltbelastung und zur Bewertung der Möglichkeit zur Wiederverwendung hinzugefügt werden. Bei der Recherche der verfügbaren Baustoffe aus dem Umbau oder Abbruch bereits bestehender Bauwerke werden wiederum Informationen aus den BIM-Modellen dieser Bauprojekte abgefragt.

Realisierungsphase

In der Realisierungsphase des Bauprojekts werden die wiederverwerteten Baustoffe schließlich neu eingesetzt. Vorher muss aber das Bauunternehmen, das mit der Ausführung des Bauprojektes beauftragt wurde, die benötigten Materialien beschaffen. Dazu müssen zunächst die bei der Kalkulation ermittelten Baustoffe, die durch Umbau oder Abbruch von Bestandsbauwerken freigesetzt werden, erworben werden.

Dann muss bei der Logistikplanung die Zeitplanung des neuen Projekts mit der Zeitplanung des Umbau- oder Abbruchprojekts in Einklang gebracht werden – falls die benötigten Bauprodukte nicht bereits ausgebaut und zwischengelagert wurden. Bei der Zeitplanung muss bei den wiederverwerteten Baustoffen auch berücksichtigt werden, dass genug Zeit für eine eventuell notwendige Aufbereitung einkalkuliert wird.

Sind die benötigten Bauprodukte schließlich beschafft und bereit zur Wiederverwendung, werden sie im neuen Bauprojekt eingebaut. Auch hier ist die Dokumentation von entscheidender Bedeutung. Nur wenn die Art der Bauteile, ihr Zustand und ihr Einbauort genau vermerkt werden, lassen sich Wartung und Austausch des Bauteils, die aufgrund der Wiederverwendung eventuell früher als gewöhnlich fällig werden, oder seine erneute Wiederverwertung in einem zukünftigen Bauprojekt zuverlässig planen. Die präzise Dokumentation des Einbaus ist aber bei allen verwendeten Bauprodukten – egal ob erstmalig verwendet oder wiederverwendet – für den Stoffkreislauf wichtig. Denn allein auf Planungsdaten kann sich dabei nicht verlassen werden.

Datenfluss mit dem BIM-Modell

Zentral ist in der Realisierungsphase die Dokumentation der verwendeten Bauteile im BIM-Modell. Auch hier können durch die Verknüpfung mit Datenbanken Informationen zur Umweltbelastung und zur Wiederverwendung hinzugefügt werden. Bei den wiederverwendeten Baustoffen werden zusätzlich die Informationen zur Dauer der bereits erfolgten Verwendung ergänzt. Schließlich entsteht so ein As-Built-Modell, das abbildet, welche Baustoffe tatsächlich in dem Bauwerk verbaut worden sind.

Vor dem Einbau der Bauteile wird der mit dem BIM-Modell des neuen Bauprojektes verknüpfte Zeitplan mit den Zeitplänen, die mit den BIM-Modellen der Umbau- bzw. Abbruchprojekte verknüpft sind, so abgeglichen, dass eine Übergabe der Baustoffe zwischen den Projekten möglichst effizient erfolgen kann.

Betriebsphase

Die Betriebsphase ist in der Regel die weitaus längste Phase eines Bauprojektes. Der Stoffkreislauf pausiert in dieser Phase weitestgehend. Die Bauprodukte sind eingebaut, es werden keine Materialien benötigt oder freigesetzt. Wichtig ist in dieser Phase vor allem die Dokumentation von allen Ereignissen, die Auswirkungen auf den Zustand, die Lebensdauer und die Wiederverwertbarkeit der Baustoffe haben. Das können z. B. Beschädigungen, Reparaturen oder Wartungen sein. (Anmerkung: Der Austausch von Bauteilen wird hier der Umbauphase zugeordnet.)

In die Betriebsphase fällt aber auch die Planung von Umbauten oder schließlich die Planung des Abbruchs des Bauwerks. Dabei müssen die freiwerdenden Materialien so dokumentiert werden, dass alle notwendigen Informationen zur Art des Baustoffs, seinem Zustand und zum Zeitpunkt der Verfügbarkeit für die Planer anderer Bauprojekte zugänglich sind.

Bei der Planung eines Umbaus fallen zusätzlich die Aufgaben aus der Planungsphase an: Die Entscheidung für wiederverwertbare Bauprodukte, die Recherche der zum benötigten Zeitpunkt verfügbaren Bauprodukte, die Dokumentation der neu benötigten Bauprodukte.

Datenfluss mit dem BIM-Modell

Alle Änderungen an den Bauteilen müssen in der Betriebsphase in das BIM-Modell übertragen werden, um ein konsistentes Modell zu garantieren. Das betrifft auch Reparaturen und Wartungen, da sich diese Ereignisse auf die Lebensdauer und Wiederverwertbarkeit der Baustoffe auswirken.

Bei der Planung von Umbauten oder dem Abbruch des Bauwerkes muss im BIM-Modell vermerkt werden, welche Materialien freigesetzt werden und wann der dafür vorgesehene Zeitpunkt ist. So können diese Baustoffe für andere Projekte eingeplant werden.

Umbauphase/Abbruchphase

In der Umbau- und der Abbruchphase eines Bauprojektes findet innerhalb des Stoffkreislaufes für ein Bauprodukt der entscheidende Übergang zu einem wiederverwerteten Bauprodukt statt. Durch den Abbau des Baustoffes wird dieser freigesetzt und anschließend entweder entsorgt oder der Wiederverwertung zugeführt. Dafür wird er entweder eingelagert, in einem eigenen Projekt wiederverwendet oder weiterverkauft. Für die Wiederverwertung ist dabei ein sorgsamer Abbau der Materialien äußerst wichtig.

Wird ein Umbau vorgenommen, fallen zusätzlich die Aufgaben der Realisierungsphase an: Beschaffung der neu verwendeten – möglichst wiederverwerteten – Bauprodukte. Koordinierung mit der Ablaufplanung der Projekte, aus denen die wiederverwendeten Materialien stammen. Genaue Dokumentation aller Umbauten und aller Informationen zu den neu eingebauten Bauteilen.

Datenfluss mit dem BIM-Modell

Findet ein Umbau statt, müssen alle Änderungen in das BIM-Modell übertragen werden. Dies betrifft vor allem die Informationen zur Art, Qualität, Grad der Umweltbelastung und Möglichkeit der Wiederverwendung der neu eingebauten Bauprodukte. Bei einem Abbruch hingegen erreicht auch das BIM-Modell das Ende seiner Lebensdauer.

Werden die freigesetzten Baustoffe nicht direkt wiederverwendet oder entsorgt, sondern für eine spätere Wiederverwertung eingelagert, sind sie zwar nicht mehr Bestandteil eines BIM-Modells, es ist aber dennoch unbedingt notwendig, alle relevanten Informationen sowie den Status ihrer Verfügbarkeit zu dokumentieren – z. B. in einer zentralen Plattform – so dass sie für die Verwendung in zukünftigen Bauprojekten gefunden werden können.

Fazit

Die Relevanz von Building Information Modeling für die effiziente Umsetzung von nachhaltigen Stoffkreisläufen ist also kaum zu überschätzen. Ohne vernetzte und für alle zugängliche Daten werden Stoffkreisläufe nicht effizient umsetzbar sein.

BIM bietet bereits heute die Möglichkeit, komplexe Daten über den gesamten Lebenszyklus eines Bauprojektes hinweg standardisiert mit dem Digitalen Zwilling zu verknüpfen. Letztendlich gilt aber für nachhaltige Stoffkreisläufe wie für Building Information Modeling: Die wichtigsten Voraussetzungen sind erfüllt. Es müssen nun Taten folgen.

 

Nachhaltige Stoffkreisläufe durch BIM

Das Buch „Nachhaltige Stoffkreisläufe durch BIM“ ist im Onlineshop des bSD Verlags erhältlich. 

Nachhaltige Stoffkreisläufe durch BIM

Tutorial "Nachhaltige Stoffkreisläufe"

Hören Sie auch das Tutorial zum Thema „Nachhaltige Stoffkreisläufe durch BIMe“ mit Ines Mansfeld, Andreas Steyer und Gunther Wölfle.

Autor/innen

Ines Mansfeld

Ines Mansfeld

NEVARIS Bausoftware GmbH

Ines Mansfeld ist Architektin mit zusätzlichem Masterabschluss in Architektur Mediamanagement (AMM). Sie arbeitete in verschiedenen Architektur- und Ingenieurbüros in der Planung sowie im Marketing/Business Development. Aktuell ist sie Produktmarketing Managerin bei NEVARIS Bausoftware GmbH. Ines Mansfeld befasst sich intensiv mit Building Information Modeling sowie mit digitalen Prozessen und Methoden zur Optimierung von Bauprozessen zur Steigerung der Bauqualität in Deutschland. (nevaris.com)
Andreas Steyer

Andreas Steyer

Procore Technologies, Inc.

Andreas Steyer ist seit über einem Jahrzehnt an der Entwicklung von BIM-Software beteiligt. Er hat bei mehr als 40 Bauunternehmen und Planungsbüros in Deutschland und Österreich BIM-Lösungen geschult und implementiert sowie verschiedene Fachartikel zu BIM-Themen veröffentlicht. Seit Mai 2022 ist Andreas Steyer für PROCORE Technologies tätig. (procore.com)